: Eine Frau allein durch den Jemen
Der angenehme Hauch von Freiheit und Abenteuer in einem touristisch kaum eroberten arabischen Land. Eine positive Reiseerfahrung wider alle festsitzenden Vorurteile und Ängste ■ Von Stefanie Christmann
„Ein Jemenite darf nach dem Wohlbefinden des Vaters, der Kinder und u. U. der Mutter gefragt werden. Nach der Frau zu fragen ist eine Beleidigung“, so das Reisehandbuch. Und in dieses Land wollte ich allein fahren, 32 Jahre alt, ohne Hotelreservierungen und Mietwagenbuchung...
Bald hatte der Plan Eigendynamik gewonnen. Im sicheren Wissen, daß es in Zabied in der Tihama ein Hotel gebe (doch ein drei Jahre alter Reiseführer ist überholungsbedürftig), quetsche ich mich nachmittags glücklich aus dem übervollen Sammeltaxi. Es ist Donnerstag abend. Der Feiertag der Muslime hat begonnen. Ruhe. Wen immer ich rings um die Hauptstraße mit fen dunduk nach dem Hotel frage, die Antwort war maafisch funduk (es gibt kein Hotel).
Mißmut macht sich in mir breit. Unschlüssig stehe ich mit meinem Rucksack an der Straße, als ein Jemenit anhält und fragt, wohin ich wolle. – Maafisch funduk, aber ich könne ja bei ihm schlafen. Sicherheitshalber frage ich in meiner im Jemen erworbenen Zweisprachigkeit (Arabisch und Hände), ob er verheiratet sei. Lachen. Klar, er habe vier Kinder. – So einfach ist das. Dann sind wir da. Treppe hoch, Wohnungstür geht auf, und schon werde ich von einer wildfremden Frau fest umarmt. Ich bin wirklich willkommen! Das erstaunt mich am meisten. – Es wäre zwar für Jemeniten unmöglich gewesen, mich als unbeschützte Frau dort ohne Hilfe stehen zu lassen. Zugleich aber bot ich den Jemeniten auch die Chance, einmal eine europäische Frau kennenzulernen.
Touristen reisen im Jemen in Gruppen oder als Paare und fast ausschließlich in Mietwagen. Nicht einen einzigen Einzelreisenden habe ich während der drei Wochen intensiven Herumfahrens in jemenitischen Verkehrsmitteln gesehen, von einer Frau ganz zu schweigen.
Mit dem Moment, in dem ich das Haus betrete, bin ich Gast der Frau. Sadias Mann wechselt zu meinen Gunsten für zwei Nächte vom Schlafzimmer ins Kinderzimmer, Sadia zeigt mir die Wohnung, bietet mir sofort Dusche, frische Kleider, Tee und Essen an und folgt jedem Schritt und jedem Blick meiner Augen. Eine Intimität, an die ich mich erst gewöhnen muß. Wir erzählen uns, arabisch und Hände und Körper, zunächst die wichtigsten Fakten: Mit 13 habe sie geheiratet, ihr Mann war damals 15, sie habe vier Kinder, das sei nun genug, noch eins wolle sie nicht. Weshalb ich nicht verheiratet sei? Ob wir in Europa alle keine langen Hosen unter den Kleidern trügen?... Fragen über Fragen, die mich dazu bringen meine Alltagsgewohneheiten gründlich zu überdenken.
Ihren Mann interessiert, ob wirklich alle europäischen Frauen Sport treiben würden, was wir essen, wir seien viel dünner als die jemenitischen Frauen, die seien zu dick. Aber auf meine Frage, ob seine Frau Fahrrad fahren und joggen dürfte, will er nicht antworten. Sadia lachte, dazu habe sie auch keine Lust. Sie nimmt mich mit, um mir zu zeigen, woher der schwere Duft in der Wohnung kommt, und weist auf den im Schlafzimmer brennenden Weihrauch. Gegessen wird auf einer Plastiktischdecke auf dem Fußboden des Kinderzimmers. Die besten Bissen schiebt Sadia mir zu, tamam (gut). Den Säugling, der krank ist und fiebert, trägt sie den ganzen Tag, trotz eigener Mandelentzündung, mit sich herum. An den Wänden hängen zwei Fotos, ihr Mann beim Militär, ein Sohn im Fotostudio. Ihr Leben ist ausschließlich der Versorgung und den zwischenmenschlichen Beziehungen in ihrer Familie gewidmet. Mit Menschen leben als Lebensaufgabe.
Abends ruft sie mich nochmals raus auf den schmalen Balkon, um den Mond und das nächtliche Zabied zu sehen. Sie kommt aus dem lebendig-quirligen Taizz, aber ihr Mann ist ins ereignislose Zabied versetzt worden. Ein Seufzer. – Ihr Kind, geboren in der Nacht, als die ersten Scuds auf Tel Aviv abgeschossen wurden, hatte sie Saddam nennen wollen. Sie rechtfertigt Saddams Angriffe auf Israel, weil Israel so oft Bomben auf arabische Staaten geworfen habe.
Als ich abends schlafen gehen möchte, begleiten mich Frau, Mann und alle Kinder. Ich will mich ausziehen, aber sie bleiben stehen. So kämme ich mich bereits das dritte Mal. Sie stehen lächelnd dort in der Tür. Ich kann doch nicht meine Gastgeber aus ihrem eigenen Schlafzimmer schicken! Hilflos lege ich mich schließlich angezogen hin. Sie strahlen, fragen, ob es auch bequem genug sei, ob sie mir noch Kissen oder Decke geben sollen, wünschen mir „gute Nacht“ und lassen mich allein.
Zwei Tage später fahre ich per Anhalter gegen Spritbeteiligung von Zabied nach Menaacha, viermal umsteigen, meist finde ich Platz auf der Ladefläche eines Geländewagens inmitten jemenitischer Arbeiter, Waren, Schilf. Höchst erstaunt reagieren sie auf mich, höflich, wohlwollend und besorgt. Damit mich niemand berührt, hocken sie sich in eine andere Ecke auf der Ladeklappe. Im Jemen trampen und auf der Ladefläche im Fahrtwind durch die berauschende Bergwelt fahren, irgendwo aussteigen, wandern und wissen, daß ich problemlos und ohne Angst vor Kriminalität oder Zudringlichkeiten zur Nacht ein Hotel irgendwo finden werde – so vergehen Tage der Freiheit. Eine Freiheit, die ich selten so erlebt – und im Jemen nicht erhofft habe.
Fahrt nach Marib. Die Abfahrt des Sammeltaxis dauert und dauert, wir sind längst genug Mitfahrer für den Peugeot familiale, vorne Fahrer und zwei Passagiere, dahinter vier, ganz hinten drei. Aber immer noch hofft der Fahrer, ein Kind oder einen Greis zu finden, den er neben mich setzen könnte, denn ein Mann, das ist ihm nicht recht. Optimal wäre eine Frau, deren Ehemann nach hinten ginge, die Frau und ich säßen vorne, dann etwas Zwischenraum zu ihm, dem Fahrer. Aber die Frauen fahren fast nur in Privatwagen in Begleitung männlicher Familienmitglieder. – Wir warten, aber kein Kind, kein Greis taucht auf. Also geht es schließlich doch noch los, aber der Fahrer achtet die ganze Zeit peinlich darauf, daß der Mann links neben mir gebührend Abstand hält.
Einmal werden wegen eines aufdringlichen Fahrgastes alle Mitreisenden des Sammeltaxis neu plaziert, einmal wird ein Mann unterwegs hinausgeworfen. Im Jemen ergreifen umstehende Männer Partei für eine belästigte Frau, fühlen sich persönlich für deren Schutz verantwortlich. – Jedenfalls noch. So verläuft meine Reise wider Erwarten ohne große Schwierigkeiten. Die Tatsache, als Frau alleine zu reisen, schränkt mich kaum ein.
Unterwegs im Norden. Vor Unruhen, vor den wilden Kriegern dort mit Dschambija und Kalaschnikow bin ich in Deutschland von „Jemen-Experten“ gewarnt worden. Auch die Fahrer der Sammeltaxis tragen die Dschambija wie fast alle Männer im Norden, aber nicht das kleinere Messer dahinter, das eigentliche, das benutzte Messer. Die Dschambija ist traditioneller Schmuck, sich vor ihr zu fürchten so abwegig, wie in jeder Krawatte ein Instrument zur Erdrosselung von Frauen zu sehen. Auch die Männer mit Gewehren an den zahlreichen Kontrollpunkten jagen keine Angst ein, sie wollen meinen Paß sehen, betrachten aber alle länger das Foto als das Visum.
Auf längeren Fahrten gehen Fahrer und Reisende von Sammeltaxis und Bussen unterwegs in eine der vielen Garküchen essen. Fährt tatsächlich einmal eine jemenitische Frau im Bus mit, darf sie nicht mit in das Lokal gehen, sondern ihr Mann oder ihr Bruder bringt ihr das Essen in den Bus. Als Hausherr des Fahrzeugs fühlt sich stets der Fahrer dafür verantwortlich, daß auch ich „Schutzlose“ etwas zu essen bekomme. Entweder bringt er mir etwas in den Bus, oder ich bin sein Gast im Restaurant an einem Tisch, an dem sonst niemand sitzt. – Die zweite Möglichkeit wird klar bevorzugt, weil sie es ganz offensichtlich genießen, mit einer Europäerin in der Öffentlichkeit gesehen zu werden.
Als ich abends kurz vor der einbrechenden Dunkelheit aus den Bergen bei Kuchland nach Sanaa trampe, fährt der Fahrer nur bis zur Abzweigung Amran. Plötzlich verlangt er 80 Rial von mir und murmelt etwas von Saana. Schließlich hält er aber doch in Amran. Er scheint weitere Mitreisende zu suchen, obwohl ich ihm schon das Geld gegeben habe. Es ärgert mich. Zu meiner Überraschung setzt er mich dann in ein Sammeltaxi: Aus Sorge, ich könnte mich allein, zumal in der Dunkelheit, nicht zurechtfinden, hat er für mich eine Weiterfahrmöglichkeit organisiert, dem Fahrer zusätzlich auch noch aufgetragen, mich bis zum Hotel zu fahren, und ihn schon bezahlt. Noch ganz von dieser fürsorglichen Höflichkeit beeindruckt, beobachtete ich dann am folgenden Tag, wie ein Mann in ein Restaurant geht. Seine Frau hockt sich derweil hinters Auto an den Straßenrand, um ihre mitgebrachte Mahlzeit auf dem Boden zu verzehren. Ein paar Meter weiter zwei Bettlerinnen am Straßenrand. Aus einer modern aufgemachten Teestube kommt ein teuer und westlich gekleideter Jemenit heraus und wirft den Bettlerinnen über die Schulter ein paar Münzen zu, die die Frauen sich aus dem Staub und dem Müll des Straßenrandes klauben müssen. Die Mundwinkel der Frau, die am Boden gesessen hat, vertiefen sich bitter, verächtlich, und graben sich in mein Gedächtnis ein. Auch das ist der Jemen.
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