Pseudointellektuelle Sabbelrunden

■ Schüller, Gottschalk, Mertes: Die Talk-Show zur Talk-Show bei den Münchener Medietagen

München (taz) – „Wenn man das Elend einer Talk-Show besprechen will, macht man am besten eine Talk-Show.“ Nach einer guten halben Stunde hatte der bekannteste und umstrittenste deutsche Fernsehplauderer, Thomas Gottschalk, die Organisatoren der Münchener Medientage durchschaut.

Munter diskutierten dort am vergangenen Donnerstag die versammelten Talkköpfe der Nation, ob das massenweise auf den Schirm gebrachte Genre ausgelaugt, der Zuschauer des vielen Gelabers und Gesabbels vielleicht überdrüssig sei. Tummeln sich doch in deutschen Fernsehprogrammen mittlerweile zwei Dutzend Talk-Shows oder mehr; je nach Definition kann man beim Zählen quer durch die Kanäle auch auf ein halbes Hundert Sendungen kommen. Vom gesetzten Vier-Augen-Gespräch über die seriöse Experten- und Prominentenrunde bis zu locker-flockiger Unterhaltung und lautstarker Auseinandersetzung auf lauwarmen Stühlen. Redende Köpfe im Fernsehen sind populär und immer noch quotenträchtig. Und vielleicht gerade deshalb sind sie Angriffspunkt für Krisengerede.

Jede Zeit hat die Sendungen, die sie verdient, meinte sinngemäß Sat.1-Informationsdirektor Heinz- Klaus Mertes. Der freundliche Kanzlerinquisitor sieht Nachrichten längst im „Infoquirl“ der Rund-um-die-Uhr-News wirbeln und macht deshalb das allgemeine Bedürfnis aus, über die Themen dieser Informationsflut auch zu reden. So versammelt etwa „Talk im Turm“ bei Sat.1 jeden Sonntag wieder (meist männliche) Politiker und schlaue Denker, um die bedeutenden Themen der Zeit zu besprechen. Ein Stück wohlorganisierte, aber freie Meinungsäußerung zur Meinungsbildung des Zuschauers also?

Nein, widerspricht Heidi Schüller, Ärztin, Journalistin und ehemalige Moderatorin von „Talk im Turm“. Sie sieht das Bildschirmpalaver nur als „scheinseriös“ an, als Inszenierung vorher festgelegter Meinungsbilder und forderte eindringlich, die „pseudointellektuellen Runden zu entlarven“. Und Amelie Fried von „Stern-TV“ sprang ihrer Ex-Kollegin zustimmend zur Seite. Daß man mit Talk- Shows informiere, der Wahrheit ein Stück näher komme, hält sie schlicht für eine Lüge. An der fernsehgerechten Inszenierung ändere sich auch dann nichts, wenn anstelle von prominenten Fernsehprofis vermeintlich „normale“ Menschen eingeladen würden.

Fernsehen könne Wirklichkeit nicht abbilden, philosophierte Roger Willemsen (premiere, Vox). Die laufende Kamera mache jeden zum „telegenen Menschen“, so der preisgekrönte premiere-Talker, es entstehe unweigerlich eine „synthetische Kommunikation“.

Ist die Talk-Show also am Ende doch nichts anderes als schnöde Unterhaltung? Das Fragezeichen bleibt, der Widerspruch der Plaudermissionare ebenfalls. Nur Thomas Gottschalk outet sich nach Läuterung durch seine neue graue Eminenz Hans-Hermann Tiedje als Entertainer ohne Sendungsbewußtsein. Der Münchner im Dienste von RTL will mit seiner werktäglichen Late Night Show die Menschen „nur“ unterhalten, mit Prominenz zu später Stunde den „Kampf gegen das Kopfkissen“ gewinnen: „Wir senden dicht am Ausschaltimpuls.“ Mindestens 1,5 Millionen Zuschauer muß Gottschalk vorm Schirm halten.

Ein Ulrich Meyer (Sat.1-„Einspruch“) hingegen, dessen journalistischen Inszenierungen vom Spiegel kürzlich als „TV-Volksgerichtshof“ bezeichnet wurden, glaubt weiter an die Aufklärung mithilfs „ganz normaler Menschen“. Er bemühe sich, so der Herr über Kamerakräne, Steilwandsitzplätze und Anschrei-Gatter, „einen Ausschnitt aus dem realen Leben zu liefern“.

Gottschalk, der TV-Sunnyboy, hat sämtliche journalistischen Ambitionen an den Nagel gehängt, hochgesteckte Erwartungen von außen möchte er nach Mißerfolg und Konzeptsuche nun lässig zur Seite schieben. Das „Hin-und- Her-Eiern zwischen Dödeln und Intellektuellen“ habe er inzwischen aufgegeben, bekennt Fernseh-Thommy freimütig, „ich mache es, wie ich denke“. Christoph Heinzle