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Oslo: Letzte Rettung im Kirchenasyl

Norwegische Gemeinden verstecken Hunderte Kosovo-AlbanerInnen, die abgeschoben werden sollen / Bischöfe unterstützen Aktion / Regierung verschärft Gangart gegen Flüchtlinge  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

In den letzten Monaten haben die norwegischen Asylbehörden die Asylanträge von etwa 1.200 kosovo-albanischen Flüchtlingen abgelehnt – trotz wiederholter Appelle von Flüchtlingsorganisationen, die auf die systematische Verfolgung dieser Volksgruppe in Kosovo hinweisen. Die meisten Abgelehnten haben Norwegen nicht verlassen. In einer beispiellosen Hilfsaktion haben Kirchen verschiedener Konfessionen ihre Türen geöffnet. Fast 500 kosovo-albanische Flüchtlinge befinden sich in 98 Kirchen im ganzen Land im Asyl. Mehrere hundert Flüchtlinge sind in Privathaushalten versteckt.

Während die norwegische Bischofskonferenz die Gewährung von Kirchenasyl vor wenigen Tagen als „Demonstration der norwegischen Mitmenschlichkeit“ und als „Bereicherung für unsere Gemeinden“ verteidigte, haben verschiedene Ärzte und Psychologen Alarm geschlagen: die teilweise seit mehreren Monaten in Isolation und ständiger Angst in den Kirchen lebenden Flüchtlinge seien einem Streß ausgesetzt, der sich zu regelrechter psychischer Folter entwickle. Vor allem Kinder seien betroffen, weil ihnen der Kontakt mit anderen Kindern verwehrt werde. Professor Johan Lavik vom „Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge“ in Oslo: „Viele Flüchtlinge haben schon ein Trauma wegen der Verfolgung im Kosovo, die hier als asylrechtlich nicht relevant eingeschätzt wird. In der Isolationssituation in den Kirchen wächst es weiter.“

Die Regierung hat ihre Gangart gegen die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien stetig verschärft. Anfang Oktober hatte Norwegen als eines der letzten europäischen Länder den Visumzwang für bosnische Flüchtlinge eingeführt. In der vergangenen Woche wurden erste Vorbereitungen getroffen, bei der Abschirmung der Grenzen das Militär einzusetzen. Bei Kettenabschiebungen wird keine Rücksicht mehr auf das individuelle Schicksal genommen.

Vorläufiger Höhepunkt: Mit der Begründung, sie hätten in Algerien Schutz und medizinische Behandlung gefunden, wurde kürzlich gegen 23 bosnische Soldaten eine Ausweisungsverfügung erlassen. Dies, obwohl die Flüchtlinge allesamt akut kriegsverletzt sind und in Algerien nachweislich nicht die medizinische Hilfe erhalten konnten, derer sie dringend bedürfen. Zwar ist die Zahl der Asylanträge in Norwegen merklich angestiegen, doch halten sich im Land derzeit nicht mehr als 10.000 Flüchtlinge auf. Eine geringe Zahl im Vergleich zu den Nachbarländern Schweden und Dänemark.

Die kriegsverletzten bosnischen Soldaten wollte die Ausländerbehörde mit dem nächsten Flugzeug zurückschicken, obwohl mehrere sofort Hilfe benötigten. Nur die Aufmerksamkeit einiger Flughafenangestellter, die AnwältInnen alarmierten, konnte dies verhindern. Nach den Berichten der Soldaten hatten sie in Algerien nur sehr unzureichend ärztliche Hilfe erhalten: Sie waren in einem Kinderkrankenhaus untergebracht worden, wo durch einen Streik die Versorgung nur unzureichend war und es an Medikamenten gefehlt habe. Ob dieser Situation habe ihnen der „Rote Halbmond“ nach Kontakten mit dem „Roten Kreuz“ die Reise nach Norwegen ermöglicht. Ärzte, die die Bosnier untersuchten, bestätigten die unzureichende Versorgung von Schußwunden, Brüchen und anderen Verletzungen.

Um so erstaunlicher, daß trotz der amtlichen Stimmungsmache das private und kirchliche Hilfsnetz für illegal im Lande lebende Flüchtlinge immer dichter wird. Das Kirchenasyl ist der letzte Schutz für Flüchtlinge geworden, gegen die rechtskräftige Ausweisungsverfügungen vorliegen. Ein Schutz, der neben Zivilcourage auch materielle Opfer fordert, denn Ausgewiesene erhalten keine Sozialhife mehr und müssen von den Gemeinden versorgt werden.

Vor Wochen lauerte die Polizei in Oslo Flüchtlingen vor einer Kirche auf, nahm diese fest, als sie zum Luftschnappen herauskamen, und wies sie aus. Aus anderen Orten ist bekannt, daß Polizisten wegschauen, wenn sie Flüchtlinge außerhalb des Kirchengrundstücks sehen. „Wir können über nichts klagen“, bestätigt Kahriman Mehmeti, seit vier Monaten im Kirchenasyl im nordnorwegischen Vadsö, die Welle der Hilfsbereitschaft. Vier Erwachsene und zwei Kinder leben in der Eismeerstadt in Norwegens nördlichstem Kirchenasyl für Kosovo-AlbanerInnen. Mehrere „Kontaktfamilien“ kümmern sich nicht nur um das materielle Wohlergehen, sondern versuchen auch das Interesse von Presse und Öffentlichkeit am Thema aufrechtzuerhalten und wenigstens ansatzweise die sozialen Kontakte zu ersetzen. „Aber“, so Kahriman, „es ist schon wie in einem Gefängnis. Wir dürfen das Kirchengrundstück nicht verlassen. Unsere Kinder würden so gerne nach draußen zum Spielen.“

Die Familien in Vadsö halten nicht einmal den zeitlichen „Rekord“ beim Kirchenasyl: Im ebenfalls nordnorwegischen Tromsö lebt eine Familie seit über sieben Monaten in einer Kirche.

Bislang hüten sich die zuständigen Verwaltungen, die Kirchenasyle polizeilich zu beenden: der Proteststurm im Lande wäre zu mächtig. Die Administration hofft offensichtlich, daß der Einsatzwille und das Interesse, den Flüchtlingen zu helfen mit der Zeit nachlassen. Die Kirchengemeinden, haben ein Kontaktnetz aufgebaut, um Erfahrungen mit Polizei- und Sozialbehörden auszutauschen und Druck auf Oslo auszuüben.

Doch von Oslo ist gerade ein neuer Nadelstich gekommen. War bislang stillschweigend hingenommen worden, daß schulpflichtige Kinder von Flüchtlingen im Kirchenasyl ihren Schulplatz behalten können, setzte Justizministerin Grete Faremo dieser Praxis zum Beginn des neuen Schuljahrs ein Ende. Obwohl viele JuristInnen darin einen Verstoß gegen die Kinderkonvention der UN sehen, werden diese Kinder ihrer Schulpflicht nicht mehr nachkommen können.

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