„Das Zusammenspiel ist atemraubend“

■ Interview mit Karl-Heinz Rüsberg, Leiter der Treuhand-Niederlassung in Halle

Im Industrieclub von Halle pflegten sich alte Freunde zu treffen. Es ging um Subventionen und Grundstücke, die Direktoren der örtlichen Treuhand-Niederlassung fragten nicht lange. Sie unterschrieben Schwindelverträge und kassierten die Erfolgsprämie für schnelles Privatisieren. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die „Paten von Halle“ (siehe taz von gestern, Seite 12). Zwei von ihnen, der Münchner Anwalt Carl Hoess und Wolfgang Greiner aus Göppingen sitzen in Untersuchungshaft. Beide haben zweistellige Millionenbeträge aus Ostfirmen herausgezogen. Investitionszusagen wurden nicht erfüllt, der IG-Metall-Bevollmächtigte für Halle, Günter Lorenz, schätzt, daß 38.000 Arbeitsplätze allein in der Metallbranche verloren sind.

taz: Sie sind als Saubermann nach Halle geschickt worden. Haben Sie sich eingearbeitet?

Karl-Heinz Rüsberg: Ich bin seit dem 1. Juli hier, und meine Aufgabe ist es, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und die Privatisierung zügig, ordentlich und gründlich durchzuführen. Von den Unternehmen, für die wir Investoren suchen, habe ich inzwischen viele bereist mit dem Ergebnis, daß überall unternehmerisches Engagement fehlt, das wir gerne geben wollen. Mein Ziel ist es, die Arbeitsplätze soweit wie möglich zu erhalten, und ich meine, daß einiges noch zu retten ist. Dabei stehen uns natürlich die Fälle um die Doctores Hoess und Greiner im Wege.

Halle hat das Privatisierungsgeschäft schon am 24. September 1992 abgeschlossen. Wieviel Betriebe mußten Sie zurücknehmen?

Wir haben jetzt 85 Unternehmen und Unternehmensteile im Angebot, die auf eine zweite Privatisierung warten. Am 12. Oktober führten wir eine Investorenpräsentation durch und haben schon eine außerordentlich hohe Zahl von Interessenten. Darüber bin ich erstaunt und auch sehr froh.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sechs Treuhandmanager und fünf Investoren.

Das Ganze ist äußerst unerfreulich und wenig vertrauenerweckend. Offensichtlich hat es ein völliges Zusammenspiel von Privatisierungs- und Beteiligungsfunktionen in der Treuhandspitze Halle gegeben. In dieser Kombination hat sie sich abgeschottet und so ein konsequentes Eigenleben geführt. Das Zusammenspiel der Personen ist schon atemberaubend. Die Ursache scheint zu sein, daß die Betreffenden angeblich mit Billigung des damaligen Niederlassungsleiters operieren konnten.

Die Task-force, die Kontrollgruppe der Treuhand, ist der Ansicht, daß die Direktoren strafrechtlich nicht belangt werden können, weil es in Halle nur „unklare Privatisierungsrichtlinien“ gegeben haben soll.

Das Treuhandgesetz ist am 1. März 1990 entstanden und wurde am 20. Juni noch zu de Maizières Zeiten beschlossen. Erst nach dem 4. Oktober 1990, dem Wechsel an der Treuhandspitze von Golke zu Rohwedder, wurden Grundsätze und Richtlinien erarbeitet. So sind erst im 1. Quartal 1991 bis zum 2. Quartal 1992 detaillierte Privatisierungsrichtlinien und Anwendungsvorgaben entstanden.

Bei der Firma Neontechnik ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Investoren. Müßten Sie die Firma nicht zurücknehmen?

Nein. Wir nehmen Firmen nur zurück, wenn sie strafrechtlich relevant geworden sind sowie eine Reihe von Nebenbedingungen erfüllt sind. Wir sind ja selbst Gläubiger beim Kaufpreis und bei der Pönale, und die Neontechnik hat beachtliche Schulden. Wir können nicht Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren.

Es gab bei der Neontechnik – wie so oft – keine Bonitätsprüfung und zwei Kaufverträge: einen für den Betrieb und einen für die Immobilie. Jetzt ist kein Geld für den Sozialplan da, nicht einmal für Lohn, und den Investoren gehört das Grundstück immer noch.

Ja, da kann man nur den Kopf schütteln. Ich habe schon Mitte Juli eine Bonitätsprüfung veranlaßt, und die war verblüffend klar. Das ist ohne Frage ein Versäumnis gewesen. Wir versuchen jetzt den Neubeginn der Neontechnik zu fördern und stehen mit zwei Interessenten in Verbindung. Wir würden zum Beispiel eine Halle oder ein Gebäude für die Produktion zur Verfügung zu stellen.

Das Karosseriewerk wurde an die reine Immobilienfirma Südplan verhökert. 2.000 Arbeitsplätze wurden versprochen, gerade 26 sollen jetzt übrigbleiben. Auch die Pumpen- und Verdichteranlagen GmbH wird gerade von der Unternehmensverwaltung Comac heruntergewirtschaftet. Die Treuhand hat bisher nichts dagegen unternommen.

Ich habe eine sofortige Untersuchung veranlaßt, die noch nicht abgeschlossen ist. Das führt dann entweder zur Belobigung oder zur sofortigen Abberufung unserer Mitarbeiter bis hin zu staatsanwaltlichen Ermittlungen. Wir gehen jetzt jedem Anfangsverdacht sorgfältig nach.

Nachdem die Berliner Zentrale im November 1992 vier Treuhandmanager feuern mußte, wurde Finanzdirektor Eduard Harrer ab Februar 1993 kommissarischer Niederlassungsleiter. Harrer wird jedoch vorgeworfen, selbst an den Skandalverträgen beteiligt gewesen zu sein. Wie unglaubwürdig will die Treuhand noch werden?

Herr Harrer ist ab sofort zur Berliner Zentrale abbeordert. Dort steht er bei einer Privatisierungsdokumentation beratend zur Verfügung und wird Ende des Jahres aus der Treuhand ausscheiden.

Zur Erhellung der Skandale hat die Treuhand nur wenig beigetragen. Journalisten und die IG Metall haben die Vorfälle aufdecken müssen.

Wir werden der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen. Aber noch sind wir dabei, die Vorfälle zu prüfen. Fragen: Norbert Kandel