Ex-RAF-Mitglied doppelt bestraft

■ Ingrid Jakobsmeier wird eine Woche vor Ende ihrer Strafe erneut zu 15 Jahren verurteilt

Stammheim (taz) – Ingrid Jakobsmeier bleibt hinter Gittern. Das Oberlandesgericht in Stuttgart verurteilte die 39jährige gestern zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren. In knapp einer Woche wäre Jakobsmeiers erste Freiheitsstrafe von neun Jahren abgelaufen, die sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abbüßte. Jetzt wurde das ehemalige Mitglied der RAF des versuchten Mordes an 17 Menschen sowie der Beihilfe zum versuchten Mord an vier weiteren Personen für schuldig befunden.

Ingrid Jakobsmeier ist damit zum zweiten Mal für Handlungen verurteilt worden, die ihr im selben Zeitraum und im selben Lebenszusammenhang angelastet werden. Das Gericht bezog die alte Strafe in das Strafmaß mit ein. Ingrid Jakobsmeier hat damit noch sechs Jahre abzusitzen.

Im August 1981 soll die Angeklagte bei einem Sprengstoffanschlag auf den US- Militärflughafen Ramstein beteiligt gewesen sein. Außerdem soll sie beim fehlgeschlagenen Attentat auf den Nato-General Frederik Kroesen im September desselben Jahres in Heidelberg Beihilfe geleistet haben. Das Urteil des 5. Strafsenats in Stuttgart-Stammheim weicht erheblich vom Antrag der Bundesanwaltschaft ab. Die hatte wegen 23 Mordversuchen auf lebenslänglich plädiert.

Der Vorsitzende Richter Kurt Breuker sagte in der mündlichen Urteilsbegründung, das Gericht habe nicht auf eine lebenslange Haft erkannt, weil sich Ingrid Jakobsmeier vom aktiven Kampf der RAF losgesagt habe. Zudem habe sie im Falle ihrer Freilassung ihren Rückzug ins Privatleben angekündigt. Dies sei strafmildernd berücksichtigt worden.

Bei seinem Urteil sützt sich das Oberlandesgericht hauptsächlich auf den Kronzeugen Henning Beer. Beer hatte Anfang der 80er Jahre als RAF-Aussteiger in der DDR mit Stasi-Hilfe ein realsozialistisches Familienleben aufgebaut. Nachdem er entdeckt wurde, drohte ihm in der Bundesrepublik eine lebenslange Freiheitsstrafe. Noch in der DDR kam es zu einem Kronzeugen-Deal mit den westdeutschen Strafverfolgungsbehörden. Beer belastete seine ehemaligen GenossInnen; im Gegenzug profitierte er von der seit 1989 geltenden Kronzeugenregelung: Ihm wurde bei seinem eigenen Verfahren ein hoher Kronzeugenrabatt eingeräumt. Statt lebenslänglich wegen Mordes und mehrfachen Mordversuchs kam er mit einer Jugendstrafe von sechseinhalb Jahren davon.

Im Jakobsmeier-Verfahren konnte der Kronzeuge allerdings die unmittelbare Tatbeteiligung der Angeklagten an den ihr vorgeworfenen RAF-Anschlägen nicht bestätigen. Prozeßbeobachter bezeichneten die Beweislage deshalb als „äußerst dürftig“. Die Verteidiger von Jakobsmeier argumentierten, daß „mit einem Kronzeugen kein faires Verfahren möglich“ sei. Rolf Gössner