Kein Hochsicherheitstrakt im Wohngebiet

■ Von Regierungsbaustellen betroffene Anwohner gründen Stadtteilvertretungen

Es war ein unglücklicher Auftakt. Die in der Einladung angegebene Adresse stimmte nicht. Dennoch fanden rund 70 Anwohner und Gewerbetreibende die 10. Grundschule in Mitte. Doch wer im dortigen Speisesaal hinten saß, konnte die Referenten am anderen Ende des Saals kaum verstehen. Der von der Bauverwaltung ins Rennen geschickte Hauptstadtreferent Engelbert Lüdtke-Daldrup hatte den Nachteil bemerkt: Er sprach laut.

Am vergangenen Dienstag fand die erste von drei Informationsveranstaltungen statt, denen jeweils die Gründung einer Stadtteilvertretung folgen wird. Diese Gremien sollen den im geplanten Regierungsviertel zwischen Spreebogen und Alexanderplatz Arbeitenden und Wohnenden eine Stimme für die „kleinen und großen Sorgen“ verschaffen, erläuterte Lüdtke-Daldrup. Die Initiativen sollen bei Problemen helfen, die durch Planungen und bald auch durch den Bau von Regierungsgebäuden entstehen.

Auf die an diesem Abend versammelten Anwohner des „Gebiets Wilhelmstraße“ kommt eine Menge zu. Am Pariser Platz sollen die Botschaften Frankreichs, Großbritanniens und der USA gebaut werden. Auf den Brachflächen zwischen Brandenburger Tor und Leipziger Straße sind ein Mahnmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus und in gebührender Entfernung davon die villenartigen Vertretungen der einzelnen Bundesländer vorgesehen. In die jetzige Treuhandanstalt soll das Bundeswirtschaftsministerium kommen, auf Ruinengrundstücken das „Hexagon“ (für die Kopfstellen von sechs in Bonn bleibender Ministerien) sowie das Finanz-, das Post- und das Frauenministerium entstehen.

Auf wesentliche Fragen aber konnte auch Lüdtke-Daldrup bestenfalls antworten: „Ich weiß es sowenig wie Sie.“ Etwa wenn die Versammelten nach der Entwicklung der Mieten oder des Autoverkehrs fragten. Immerhin wußte der Beamte, daß aus ihrem Wohngebiet kein Hochsicherheitstrakt werde. Selbst die Amerikaner wollten „ein ganz normales Haus“ bauen. Sicher werde es aber mehr Wachleute und Videokameras geben, was im Publikum wiederum unter praktischen Gesichtspunkten betrachtet wurde. „Das ist gut für unser Auto“, sagte eine ältere Zuhörerin.

Referentin Karin Baumert vom Verein „Mieterstadt“ machte wenigstens klipp und klar deutlich: „Ihre Angst, auf Dauer von hier verdrängt zu werden, ist berechtigt.“ Mietsteigerungen und die Umwandlung von Wohn- in Büroraum seien nur sehr schwer zu verhindern. Sie bemängelte darüber hinaus, daß die Planung längst „da ist“, die Bürger aber erst jetzt gefragt würden.

Allerdings werden sich die Stadtteilvertretungen mit diesen Sorgen nicht beschäftigen. Vor allem soll der Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung verbessert werden, erläuterte Anna Küttner vom „Stadtzentrum Verein“, der die Arbeit der Vertretungen unterstützen wird. Räume werden gestellt und Bürokosten ersetzt.

Selbst die geringen Mitbestimmungsrechte wollen sich die Anwohner aber nicht entgehen lassen. Auf einer Liste für die Kandidatur – gewählt wird am 9. November am selben Ort – trugen sich über ein Dutzend Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein. Dirk Wildt