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Heilung als Verführung

Roger Spottiswoode dreht in den Babelsberg-Studios „Mesmer“. Ein Drehbericht  ■ Von Gerhard Midding

„Passion and medecine do not mox, Dr. Mesmer.“ – „They don't?“

(Dialogzitat aus „Mesmer“)

Die Glasharmonika ist ein seltenes Instrument: Glasglocken sind in einem Wasserbad konzentrisch aufgereiht und werden mit befeuchteten Fingerspitzen zum Klingen gebracht. Franz Anton Mesmer diente es im ausgehenden 18. Jahrhundert als Teil seiner „musikalisch-magnetischen Behandlung“; die Requisite ist stolz, heute noch ein Exemplar aufgetrieben zu haben.

Mesmers Hand gleitet über die Glocken, er hebt seine Finger und schnippt ein paar Tröpfchen Wasser in Maria Theresas Augen. Maria Theresa Paradies ist Pianistin und blind, leicht erschrocken weicht sie zurück. In Mesmers Geste liegt aber auch etwas vom neckischen Spiel zweier Verliebter.

Alan Rickman und Amanda Ooams proben die Szene einige Male, Roger Spottiswoode läßt nur wenige Takes aufnehmen, dann ist die Einstellung im Kasten. Für einen ehemaligen Cutter – zuvor hat er Filme für Sam Peckinpah und Karel Reisz geschnitten – ist es bemerkenswert, wie wenig Material Spottiswoode abdreht. Er scheint sich sicher zu fühlen, er dreht nicht mehr, als er später für den Schnitt braucht. „Erstaunlich“, wundert sich auch Alan Rickman in der Drehpause, „ich frage mich immer wieder: Wie bekommt er später nur die Anschlüsse hin? Aber er konzentriert sich wirklich nur auf die Schauspieler, auf ihre Darstellung.“

Die Atmosphäre am Drehort ist entspannt. Bis gestern wurde noch eine Szene von erheblich komplizierterer Logistik gedreht: Vor Mesmers Haus rottet sich eine Menge Kranker zusammen, die verzweifelt um Hilfe bittet. Mesmer versucht, die Menge durch Suggestion zu besänftigen: Das genau Gegenteil ist die Folge. Nach drei Tagen Massenhysterie ist jedermann im Studio froh, heute eine lyrische Szene zu drehen.

Der Arzt Franz Anton Mesmer war eine schillernde Gestalt, eine Kinofigur par excellence: ein Magier, der davon überzeugt war, Wissenschaft zu betreiben. Seine Theorie vom „animalischen Magnetismus“ löste unter seinen Berufskollegen Verwirrung, Empörung und Spott aus, seine Behandlungsmethoden regten indes die Phantasie seiner weiblichen Patienten auf das heftigste an und kamen rasch in Mode. Mesmer war ein Vorläufer der psychosomatischen Medizin, der die Mitverantwortung des Patienten für seinen eigenen Körper einklagte. Begriffe wie mesmerising und animal magnetism führen seither im angloamerikanischen Sprachraum ein reges Eigenleben, hierzulande führt der Name des Arztes die Assoziationen eher auf alpinistische Abwege. Kein Wunder, daß die Idee zu diesem Projekt in England geboren wurde. Vor mehr als einem Jahrzehnt geriet dem Produzenten Lance Reynolds ein erster Entwurf des Drehbuchs von Dennis Potter in die Hände. Einige Jahre später fand Reynolds in Wieland Schulz-Keil einen umtriebigen und wagemutigen Koproduzenten. Finanziert wird der Film mit englischem, kanadischem und deutschem Geld, in der Firma Satel und dem Wiener Filmfonds sind Partner am Hauptdrehort der Geschichte gefunden worden.

Spottiswoode, der sich mit „Under Fire“ einen Ruf als Regisseur intelligenter Action-Filme erwarb, diesen aber seither mit flachen Komödien zu verspielen drohte, ist eine überraschende Wahl. „Wir suchten keinen Regisseur, der schon ein Dutzend Kostümfilme gedreht hat“, begründete Schulz- Keil in seinem Büro in den Babelsberger Studios die Entscheidung, „sondern einen, der sich für ein modernes Psychodrama eignet.“ Es soll kein Film der historischen Tableaus werden, dennoch dreht Spottiswoode im Format 1:2,35 in Cinemascope. Ein Bildformat, mit dem er seit „Shoot To Kill“ (Tödlicher Vorsprung) gut vertraut ist. „Damals habe ich aber gemerkt, daß es sich in intimeren Szenen und Naheinstellungen noch viel interessanter einsetzen läßt. Auch bei diesem Film merke ich, wie flexibel das Format ist.“

Es ist frappierend, wie klein und eng einige der Dekors sind, in denen Spottiswoode dreht. Jan Schlubach hat in seinen Szenenbildern den Gegensatz zwischen der Privatsphäre kleiner Stuben und der Öffentlichkeit opulenter, repräsentativer Säle herausgearbeitet. Das pièce de résistance der Studiobauten Schlubachs ist der große Salon in Mesmers Haus in Wien: „Ich habe bei jedem Film den Ehrgeiz, einen Dekor komplett aus dem Fundus zu bauen.“ Subtil erinnern die Szenenbilder daran, daß Mesmer eine theatralische Figur ist, die für ihre Behandlungen immer ein Publikum braucht. Spottiswoode begreift ihn als einen charismatischen Visionär, der bei aller Überzeugungskraft Gefahr läuft, seine Vision aus den Augen zu verlieren. „Er ist sich seiner wahren Fähigkeiten nur zum Teil bewußt, er glaubt gewissermaßen aus den falschen Gründen an sich selbst.“ So handelt „Mesmer“, wie zuvor schon „Under Fire“, auch von der Verantwortung, die ein Talent mit sich bringt.

Schulz-Keil fasziniert an Mesmer, daß er noch zu den Entdeckern des 18. Jahrhunderts zählt, deren Forschung (im Gegensatz zu den Entdeckern des darauffolgenden Jahrhunderts) noch ein spielerisches Element besitzt, nicht in Verzweiflung und Selbstzerstörung mündet. Schulz-Keil liest das Drehbuch als eine Meditation über Schmerz und Heilung, ein Thema, das dem Autor Dennis Potter sehr naheliegt, leidet er doch schon seit Jahrzehnten an einer schweren Hautkrankheit (welche der der Titelfigur seiner TV-Serie „The Singing Detective“ ähnelt). Potter schafft in seinen Drehbüchern immer wieder Raum für Träume, Imagination, für Befreiungsphantasien. Spottiswoode entdeckt darin ein autobiographisches Element: „Ich glaube, Potter ist nicht zynisch genug, um nicht doch auf eine Heilung, eine Veränderung in seinem Leben zu hoffen.“ Die Frage nach psychosomatischen Zusammenhängen ist dem Regisseur nicht fremd, der sich erinnert, in einer Familie von Asthmatikern aufgewachsen zu sein.

Bereits in der Exposition schnürt Potters Drehbuch sexuelle Begierde und Medizin eng zusammen, seine Szenen delirieren in der Doppeldeutigkeit der Gesten. Potter hat nicht vergessen, daß die Magie eine der Quellen des Kinos war, Szenenfolgen wirken wie durch Gedankenübertragung zusammengeknüpft. Das Buch arbeitet mit der Realität von Symbolen, findet Spiegelbilder für die Seele. Potter hat Mesmers Liebe zu Maria Theresa ins Zentrum seiner Fabel gerückt. Heilung als Verführung, Verführung als Heilung: Die Experimente Mesmers werden zur erotisch aufgeladenen Analyse, als seine Zärtlichkeiten herausbringen, daß Maria Theresa von ihrem Vater sexuell mißbraucht wird. Die Liebe der Patientin wird zum Teil der Behandlung, die Transferierung, Übertragung zu einem organischen Prozeß. Eine brisante Konstellation, die den Filmemachern der Frage würdig ist, zugleich eine Gratwanderung, die sehr schwer zu realisieren ist. Wir werden sehen, wie cast & crew die Stimmungs- und Stilwechsel in Potters Buch umsetzen werden. Irgendwann einmal, hoffentlich im Kino.

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