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Aus den Augenwinkeln

■ Inszenierte Fotografie: Im Sprengel-Museum Hannover bearbeitet eine Ausstellung kollektive Bilderwelten

Anstelle des linken Auges klafft ein schwarzes Loch in seinem Kopf: Als ob sämtliche Dinge, die er jemals angeblickt und in Bilder verwandelt hatte, darin verschwinden sollten.

Das entstellte Porträt Andy Warhols entstammt einem Playboy-Heft, das der amerikanische Fotograf Richard Misrach in der Wüste von Nevada fand. Irgendein namenloser Waffennarr hatte es als Zielscheibe benutzt und mit großem Kaliber bearbeitet – ein Opfer der Bilder, der selber Täter sein wollte. Misrach fotografierte das Ergebnis ab und vergrößerte seine Reproduktionen der einzelnen Seiten. Vier von diesen grobkörnigen Blow-ups sind derzeit in einer Ausstellung mit dem Titel „KonstruktionsZitat“ im Sprengel- Museum Hannover zu sehen. Was sie wiedergeben, ist die Kurzversion des amerikanischen Traums und seiner mutwilligen Demolierung. „Zwar hatten die Schüsse den Frauen auf dem Titelbild gegolten, doch waren mit diesem Gewaltakt zugleich auch alle Aspekte der amerikanischen Kultur, wie sie im Inneren der Zeitschrift dargestellt waren, durchlöchert“, (R. Misrach). Ein Pin-up mit zerschossenem Mund neben dem zerfetzten Himmel über Marlboro-Country, die verstümmelte Madonna neben jenem Bild von Andy Warhol, auf dem er mit strähniger Frisur für ein Haarspray wirbt, das doch – so verheißt das Bild ungeniert – nichts nützen wird. Solch durchdrehender Humor der Warenwelt provoziert ja mitunter erst recht. Auch wenn sich die Wut auf die Bilder und ihre ausgebliebene Erfüllung eher zufällig entlud, hier traf sie gleich doppelt ins Schwarze: Die anonyme Aggression, die ironisch zu nennen unangemessen wäre, schuf die Paraphrase zu Richard Avedons berühmtem Foto des zusammengeflickten Körpers von Andy Warhol.

Aber Warhol, selbst beinahe einem Attentat zum Opfer gefallen, war es schließlich, der zu Beginn der sechziger Jahre mit seinen Siebdrucken nach Pressefotografien von Autounfällen, Selbstmorden und anderen Störungen des Gewöhnlichen das Sensationelle als serielles Moment in die Kunst einführte: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild... Die Wiederholung, die Vervielfachung des Entsetzens führt ohnehin nicht zu dessen Steigerung, schien er sagen zu wollen. Dagegen eignete sich das Genre der Pressefotografie plötzlich nicht nur als provokatives, sondern auch als dekoratives Element. „Sie glauben gar nicht“, sagte Warhol einmal, „wie viele Leute sich ein Bild eines elektrischen Stuhles ins Wohnzimmer hängen, vor allem wenn dessen Farbe zu den Vorhängen paßt.“

Zwei von Warhols „Most Wanted Men“, die er zum ersten Mal auf einer Außenwand im Rahmen der New Yorker Weltausstellung von 1964 präsentierte, und die damals einen solchen Skandal auslösten, daß sie umgehend übermalt wurden – zwei dieser Fahndungsfotos bilden daher nicht zufällig den thematischen wie zeitlichen Auftakt der Hannoveraner Ausstellung. Sie zeigt Verwendungsstrategien öffentlicher Bilder durch Künstler und Fotografen. Ausschnitthaftes Zitat oder vergrößerte Reproduktion, Montage, Konstruktion oder synthetische Überlagerung – für die Umsetzung der Vorgabe ließ Kurator Thomas Weski Künstlern wie Hans-Peter Feldmann, Christian Boltanski, Richard Prince, Sherrie Levine oder Barbara Kruger, um nur einige zu nennen, jeglichen Spielraum.

Die kollektiven Bilder, die hier verarbeitet werden, Werbe- und Pressefotos, Reklame-Plakate und Pornoheftchen, Film-Stills und private Schnappschüsse, zeigen eine Welt am Rande ihrer Zurechnungsfähigkeit. Ausgeliefert an die tägliche Dosis der Bilder, schlüpfen die Opfer in die Rolle der ihrerseits betrachteten Betrachter und glotzen stumpfsinnig zurück, wie auf Ken Lums überdimensionalen Grußkarten und Familienidyllen: Hi, mom, noch zehn Sekunden bis zum Amoklauf.

Die Künstler führen diesen Zwangscharakter vor, welchen die Bilder durch ihre private wie öffentliche Allgegenwart auslösen. Dabei bedienen sie sich der Motive, die „durch ihre Verfügbarkeit und Präsenz zum Bestandteil einer gesellschaftlichen, auf allgemeine Verständlichkeit abzielende Bildersprache geworden sind“ (Thomas Weski).

Manchmal ist die Bearbeitung äußerst subtil und die Irritation, welche sie auslöst, für den Betrachter schwer zu erkennen, noch schwerer zu erklären. Mit Hilfe eines Computers hat Thomas Ruff seine Porträts manipuliert und den Gesichtern dasselbe Augenpaar – im wahrsten Sinne des Wortes – einverleibt. Im emotionslosen Gesichtsausdruck verwischt sich der Unterschied zwischen dem Individuellen und dem Stereotyp: Der Mensch entwickelt sich zurück zum Exemplar.

Zum gemeinsamen Nenner all dieser Arbeiten und gleichsam zur Schnittstelle zwischen Kunst und Fotografie wird die Inszenierung. Das reicht vom simplen Abfotografieren, also der Herstellung eines Duplikates dessen, was bereits ein Abbild ist, bis hin zur komplexen Auffächerung und zur fotografischen Performance. „Wahr“ – im Sinne von authentisch – ist an diesen Real-Kopien nur mehr das inszenatorische Moment, und zwar im Zusammenspiel mit einer ästhetischen Kombinatorik.

Besonders deutlich wird das an einer Arbeit John Baldessaris: Ein Mann springt mit ausgebreiteten Armen von der Reling eines alten Segelschiffes – ins Nichts. Dort, wo auf dieser Fotografie das Meer zu erwarten wäre, befindet sich ein weiteres Bild, beinahe ebenso leer wie das obere. Nur daß am rechten Rand gerade noch der Rücken eines Mannes zu sehen ist. Ein Messer steckt darin.

Was an der Montage mit dem Titel „Knife/Dive“ zunächst irritiert, ist das scheinbar Zufällige von Ausschnitt und Auswahl. Der Zusammenhang stellt sich über den formalen Aufbau her – als ein Positiv- Negativ-Effekt zwischen dem sich aus dem Bild neigenden Schiffskörper und dem ins Bild kippenden Körper des Mannes. Der gefährliche Moment ist zugleich das eigentliche Moment in Baldessaris Arbeit, denn die Sprungbewegung des Mannes auf dem oberen Bild spiegelt die Stoßrichtung des Messers auf dem unteren. Eine prekäre Symmetrie – wie aus den Augenwinkeln beobachtet und im Schreck erstarrt, im tödlichen Moment. Als wollte Baldessari mit dem flüchtigen Blick vor allem eines vorführen: daß die Gewalt der Bilder an der Peripherie der Wahrnehmung einsetzt. Thomas Fechner-Smarsly

„KonstruktionZitat. Kollektive Bilder in der Fotografie.“ Sprengel-Museum Hannover. Bis zum 31.Oktober. Der Katalog kostet 48DM.

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