Milošević löst serbisches Parlament auf

■ Damit soll die Dauerdebatte über den Mißtrauensantrag beendet werden / Neuwahlen sind für 19. Dezember geplant

Wien (taz) – „Also, ich glaube, daß jeder von der Parlamentskrise genug hat und sich ein neues arbeitsfähiges Parlament wünscht.“ Mit diesen Worten wandte sich am Mittwoch abend der serbische Präsident Slobodan Milošević in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung und kündigte Neuwahlen für den 19.Dezember an. Ein Schachzug, mit dem der Präsident seinen schärfsten Widersacher, den Freischärlerführer Vojislav Šešelj, loszuwerden hofft.

Šešelj hatte in der letzten Zeit aufgrund der Erfolge seiner Truppen in Bosnien auch im Parlament ein größeres Mitspracherecht gefordert. Dabei verfügte er über einen Trumpf: Er wußte, daß Miloševićs Sozialisten ohne seine Radikale Partei im Parlament in der Minderheit sein würden. Und so forderte er für sich die Position des Innenministers. Doch das Kalkül ging nicht auf: Milošević gab seinem „Nebenbuhler“ deutlich zu verstehen, daß er ihn zwar für die Drecksarbeit in Bosnien gebrauchen könne, aber nur begrenzt als Verbündeten in der Regierung.

So blieb Šešelj nur noch die Flucht nach vorn: Er kündigte die Koalition mit den Sozialisten und stellte dann vor zwei Wochen die Vertrauensfrage an das Minderheitenkabinett unter Regierungschef Nikolaj Sainović. Eine Pattsituation entstand, da es Šešelj nicht gelang, die kleinen Oppositionsparteien hinter sich zu bringen und so den Sturz der Regierung durchzusetzen. Die wollten mit dem Faschisten Šešelj nichts zu tun haben und verzichteten ihrerseits auf die Machtprobe gegen die Sozialisten.

Wie es nun in Belgrad weitergehen wird, ist vollkommen offen. Daß Miloševićs Sozialisten bei den vorgezogenen Wahlen eine ausreichende Parlamentsmehrheit erringen werden, scheint recht unwahrscheinlich. Eine Koalition mit anderen Parteien ist derzeit nicht in Sicht – genausowenig wie ein Sieg der zersplitterten Opposition. Die wichtigste Oppositionspartei, die Serbische Erneuerungsbewegung unter Vuk Drašković, kündigte bereits einen Boykott der Wahlen an. Ebenso wie Šešelj hält er den Schritt des Präsidenten für verfassungswidrig: Das Parlament könne während einer laufenden Debatte über einen Mißtrauensantrag nicht aufgelöst werden.

Wie schon bei der letzten Wahl, wird wohl auch diesmal die Mehrheit der Wahlberechtigten von den Urnen fernbleiben. Die fast zwei Millionen Kosovo-Albaner wollen den Stimmengang ebenfalls boykottieren, die Ungarn in der Vojvodina überlegen sich ähnliche Schritte, da sie weder Milošević noch der national ausgerichteten Opposition Vertrauen schenken. Karl Gersuny