Riesenpleite und Richterposse

Ein Jahr nach der Pleite der Konsumgenossenschaft Halle stochert das Landgericht Halle im Nebel / Sanierte sich der Konkursverwalter selbst?  ■ Von Eberhard Löblich

Halle/Magdeburg (taz) – Eigentlich, so findet Sachsen-Anhalts Justizminister Walter Remmers (CDU), müßten alle Beteiligten noch einmal Jura studieren, um überhaupt halbwegs klar durch den größten Konkursfall in der Geschichte der Bundesrepublik durchzublicken. Die Konsumgenossenschaft Halle, mit 473.000 Genossen und 22.000 Beschäftigten die größte Genossenschaft Deutschlands, steht seit langem unter Zwangsverwaltung.

Die Richter des Landgerichts Halle, die sich gestern mit dem Fall beschäftigen mußten, hatten aber keine Zeit, dem Rat des Justizministers zu folgen. Ganz ohne professorale Nachhilfe muß das Gericht unter Vorsitz des Richters Tilmann Schwarz entscheiden, ob die Abberufung des Konkursverwalters Siegfried Baron von Hohenhau rechtens ist.

Das vorgeordnete Amtsgericht hatte den Münchner Anwalt in der vergangenen Woche kurzzeitig abberufen, weil er seinen zuständigen Kontrolleur, Konkursrichter Jan- Dirk Dreßler, bestochen und sich selbst so eine unverhältnismäßig hohe Vergütung ergaunert haben soll. Dreßler bewilligte dem Adeligen schließlich das üppigste Honorar, das jemals einem Zwangsverwalter gezahlt wurde. Allein für die dem eigentlichen Konkursverfahren vorausgehende Sequestration kassierte der Adelige aus der Isarmetropole fürstliche 12,7 Millionen Mark. Kein schlechtes Entgelt für fünf Tage Arbeit.

Die Amtsenthebung ist nicht das einzige Ermittlungsverfahren, das derzeit in dieser Sache anhängig ist. Kaum war von Hohenhau in der vergangenen Woche kurzzeitig seines Amtes entbunden, beobachteten Augenzeugen, wie er und sein Anwalt Kourosh Atabaki bergeweise Akten aus dem Konsumgebäude schleppten und in einen Kleintransporter verluden. Von den Augenzeugen informiert, hasteten fünf Staatsanwälte herbei und verhinderten mit polizeilicher Hilfe den Abtransport möglicher Beweise gegen von Hohenhau. Und notierten gleich auch noch eine Anzeige gegen dessen Anwalt. Vorwurf: Versuchte Aktenunterdrückung und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Dabei hatte der Adelssproß aus München bis vor kurzem noch das allerbeste Verhältnis zu Sachsen- Anhalts Vertretern der Justitia. Nicht nur zu Konkursrichter Dreßler, sondern auch zu dessen Chef, dem Amtsgerichtspräsidenten Hans Haarmeyer. Schon vor Beginn des Konkursverfahrens überließ von Hohenhau dem Gericht unentgeltlich ein Fax-Gerät, einen Fotokopierer und umfangreiche EDV-Technik samt passend zugeschnittener Software.

Daß der Konkursverwalter dem Gericht zur beschleunigten Bearbeitung des Konkursverfahrens technische Geräte zur Verfügung gestellt habe, sei für sich allein noch keine straf- oder dienstrechtliche Verfehlung, verkündete Remmers-Sprecher Thomas Ahrens. Als die Großzügigkeit im Magdeburger Justizministerium bekanntwurde, sei das Hallenser Gericht angewiesen worden, die Gerätschaften zurückzugeben.

Auch sonst verstand sich Gerichtschef Haarmeyer blendend mit dem adeligen Konkursverwalter. Noch zu seiner Zeit in Niedersachsen hatte der Richter ein Gutachten über den Konsum-Konkurs angefertigt, was er nach dem Richtergesetz gar nicht gedurft hätte. Das Honorar von 100.000 Mark, das Haarmeyer kassierte, wird ihm die Übertretung des Standesrechts leichter gemacht haben.

Dreßler und Haarmeyer wurden inzwischen in die Wüste geschickt. Bis zum Abschluß der strafrechtlichen Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Vorteilsannahme (Bestechlichkeit) versieht Dreßler im altmärkischen Stendal seinen Richterdienst, Amtsgerichtspräsident Haarmeyer wurde als Beisitzer an das Oberlandesgericht Naumburg versetzt, an dasselbe Gericht, bei dem wegen des unerlaubten Gutachtens die dienstrechtlichen Ermittlungen gegen ihn laufen.

Die juristische Spiegelfechterei um Ämter und Millionen hat natürlich auch eine Vorgeschichte, und die ist kaum weniger pikant. Ende Oktober 1990 beschlossen 19 regionale Konsumgenossenschaften und der Genossenschaftsverband des Bezirks Halle die Verschmelzung zu dem konkursgegangenen Mammutunternehmen.

Gleich fünf Geschäftsführer leistete sich das neue Gebilde, drei davon kamen aus dem Westen. Und die genehmigten sich fürstliche Gehälter. Die Geschäfte führten sie vor allem zum eigenen Vorteil, gegen alle drei ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Jahren wegen Untreue. Die Lieferanten jedenfalls warteten vergebens auf ihr Geld. Ende Februar 1992 beantragte der erste die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Den Geschäftsführern gelang es zwar wenige Tage darauf, den Gläubiger mit undurchsichtigen Finanztransaktionen zu beruhigen und zur Rücknahme seines Antrages zu bewegen, noch am selben Tag allerdings ging beim Amtsgericht der nächste Antrag auf Gesamtvollstreckung ein.

770 Millionen Mark an offenen Forderungen machen die Konsumgenossenschaft Halle zum größten Konkursfall Deutschlands. Und kosten auch das Land Sachsen-Anhalt noch einige Millionen Mark. Als Konkursverwalter von Hohenhau noch wohlgelitten war, fiel ihm nämlich auf, daß die Mitglieder der Genossenschaft für den Insolvenzfall eine Nachschußpflicht in Höhe ihrer Einlage von 50 Mark haben. Und diese 50 Mark wollte er bei jedem Genossen kassieren. Im Süden Sachsen- Anhalts brach daraufhin ein mittelschwerer Volksaufstand aus.

Nicht zu Unrecht: Das Registergericht hatte bei der Eintragung der verschmolzenen Großgenossenschaft schwerwiegende formale Fehler gemacht. Das Geld konnte von Hohenhau bei den Genossen also nicht holen. Aber beim Land – schließlich hatten die Landesbehörden schlampig gearbeitet. Und das Land gab nach. In einem Vergleich mit von Hohenhau erklärte sich Remmers im August dieses Jahres zur Zahlung von 11,8 Millionen Mark bereit, wenn damit die Nachschußpflicht der Genossen und die Möglichkeit einer Staatshaftung vom Tisch sei. Die Zustimmung zu dem Vergleich fiel Remmers um so leichter, als von Hohenhau damals zusicherte, daß drei Millionen aus der Landeskasse zur Sicherung des Sozialplans für die Mitarbeiter der Genossenschaft zweckgebunden seien.

Zwar steht noch immer die Zustimmung des Magdeburger Finanzministeriums zu diesem Vergleich aus. Aber die Tatsache, daß Finanzminister Wolfgang Böhmer im Fall einer notwendigen Staatshaftung wegen der damaligen richterlichen Formfehler mehr als 23 Millionen auf den Tisch blättern muß, wird ihm die Absegnung des Vergleichs erleichtern. Und trotz der akuten Querelen mit von Hohenhau, so Remmers, steht er nach wie vor zum abgeschlossenen Vergleich. Viel anderes bleibt ihm auch nicht übrig.