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Trennen, aber mit Stil: In Berlin debattierten Experten über die Narben, die durch Scheidungen bei Kindern hervorgerufen werden – und wie sich das bestenfalls verhindern läßt. Inzwischen gibt es sogar Therapiegruppen nur für Kinder. Von Barbara Dribbusch

Dank für die schöne Zeit

Nach der Trennung hatten sich die Eltern den kleinen Willi genau aufgeteilt. Drei Tage bei ihm, vier Tage bei ihr. Gemeinsames Sorgerecht.

Doch bald fing der Kleine an, wenn er beim Vater war, stündlich mit der Mutter zu telefonieren. Als die sich auch noch neu verliebte und vom Vater zurückzog, war es ums Trennungsarrangement geschehen: Ein Tauziehen um das Sorgerecht begann – zwei Jahre nach dem „gütlichen“ Auseinandergehen.

„Die Wirkung äußerer Arrangements nach einer Trennung wird oft überschätzt“, sagt der Wiener Psychoanalytiker Helmuth Figdor. „Die Trennung eines Elternpaares beschäftigt alle Beteiligten noch viele Jahre danach.“ Wie die Familienmitglieder die Trennung und die „Jahre danach“ am besten durchstehen, war das Thema eines internationalen Symposiums zum Thema „Kinder und Jugendliche im Trennungs- und Scheidungsprozeß ihrer Eltern“ in Berlin.

Fast die Hälfte der noch unmündigen Kinder, so wird geschätzt, wohnt schon nicht mehr bei den leiblichen Eltern. Sozialarbeiter, Psychologen und Familienhelfer haben statt der früher üblichen Eheberatung zunehmend auch Scheidungsberatung im Repertoire. Ab nächstem Jahr wird es sogar einen Rechtsanspruch darauf geben.

Inzwischen bieten Psychologen Scheidungsvermittlung an, die sogenannte „Mediation“. In den USA und in Großbritannien ist dieses Verfahren schon lange weitverbreitet. In sechs bis zwanzig Beratungsstunden bereiten sich die scheidungswilligen Paare auf eine einvernehmliche Trennung vor.

Nervenstarke können nach der juristischen Scheidung in einigen Praxen noch an „Scheidungszeremonien“ teilnehmen. Im Rollenspiel nehmen die Eltern als Liebes- und Ehepaar Abschied und danken einander für die schöne Zeit – begleitet von Kindern und Freunden.

Andere neue Ansätze setzen mehr auf die Selbstheilungskräfte der Kinder als auf therapeutische Anstrengungen mit den Eltern. Die Beratungsstelle „Trialog“ in Münster beispielsweise bietet Gesprächsgruppen auch für Kinder aus geschiedenen Ehen an. Und in Berlin planen Lehrer aus fünf Schulen ab kommendem Frühjahr „regelmäßige Nachmittags-Treffs einzurichten für Kinder aus Scheidungs- oder Trennungsfamilien“, erzählt Axel Kaufmann von der Berliner Dreilinden-Grundschule. Die LehrerInnen wollen bei den Kindern Gespräche und Rollenspiele über ihre neue Lebenssituation anregen.

Die engagierten Kollegen profitieren von Erfahrungen aus Israel. Dort leiten schon an vielen Schulen externe Berater Gruppen für Scheidungskinder, in denen in Gesprächen und Rollenspielen die Familiensituation bewältigt wird. Die Kinder phantasieren sich in die Rolle von Jackie Onassis, die im Jet zwischen beiden Elternteilen hin und her pendelt. Oder sie stellen Listen auf, was gut und was schlecht an einer Scheidung ist, schildert Adina Flasher vom israelischen Erziehungsministerium. Auf der „Gut-Liste“ stehen dann etwa die zwei Geburtstagsgeschenke von Mutter und Vater.

Oft verschwinden die leiblichen Väter allerdings nach der Scheidung aus dem Leben ihrer Kinder. Einer Langzeitstudie aus England zufolge hatte nach sechs Jahren jeder vierte geschiedene Vater gar keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern. Ein zweites Viertel pflegte zwar Kontakt zum Nachwuchs, aber nicht mehr zur Mutter des Kindes. Nur etwa die Hälfte kümmerte sich noch um Kinder und Ex-Frau.

„Die zweite Gruppe mit Kontakt zu den Kindern, aber nicht zur Ex-Partnerin, ist am problematischsten für die Kinder“, resümiert die englische Familienforscherin Janet Walker. Denn wenn sich die Eltern nicht zumindest gegenseitig respektieren und das auch dem Nachwuchs vermitteln, nützen auch noch so gerechte „Aufteilungen“ oder das oft propagierte gemeinsame Sorgerecht wenig. Mitunter kann sogar gerade das gemeinsame Sorgerecht dazu führen, daß „ein ständiger Hickhack um Kleinigkeiten entsteht“, hat der Berliner Psychologe Christian Will beobachtet.

Nach der Erfahrung von Janet Walker spielen die neuen Lebenspartner, aber auch die Lebensumstände und materiellen Verhältnisse bei der Gestaltung der künftigen getrennten Elternschaft eine große Rolle. Arbeitslose Väter oder solche mit niedrigem Einkommen beispielsweise taten sich der Studie zufolge besonders schwer, den Kontakt zu ihren Kindern aufrechtzuerhalten. Auch kümmerten sich geschiedene Väter erheblich häufiger um ihre Söhne als um ihre Töchter.

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