: Ein uralter Konflikt – aber einer mit Zukunft
■ Indien und Pakistan selbst schuld: Viele Kaschmiris für eigenen Staat
Kaschmir ist der älteste Konflikt, den die Vereinten Nationen (UNO) zu lösen suchen. Sie würgt an ihm seit ihrem Bestehen.
Doch auch 50 Jahre nach seinem Ausbruch bestehen wenig Chancen für eine Lösung, weil die ihm zugrunde liegenden Motive alle noch vorhanden sind. Dazu zählen die territorialen Besitzansprüche über eine strategisch wichtige Region, der Streit um die ideologischen Grundlagen der beiden Staaten Indien und Pakistan sowie – und dies ist neu – das Erwachen einer kaschmirischen nationalen Identität.
Kaschmir sitzt wie ein Keil zwischen Indien und Pakistan. Zusätzlich zum heutigen indischen Staat „Jammu Kashmir“ und dem pakistanischen „Azad Kashmir“ gehörten zum Reich von Maharadscha Hari Singh im Jahr 1947 die Gebiete von Gilgit, Hunza und Baltistan – also eine Region, die von Afghanistans Wakhan-Korridor, der ehemals sowjetischen und chinesischen Südgrenze, bis nach Tibet verlief. Die Region hatte daher schon für die englische Kolonialmacht eine wichtige strategische Bedeutung in ihrer Eindämmungspolitik gegenüber der russischen Großmacht gespielt.
Sie behielt diese auch nach der Dekolonialisierung von 1947 bei. In dieser unwirtlichen Berggegend kam nämlich die sowjetische Weltmacht mit den alten indischen und chinesischen Reichen in Berührung – und dies in einem Augenblick, als diese Nationen eine neue und stärkere weltpolitische Rolle zu spielen begannen.
Sowohl Pakistan als auch Indien machten bei der britischen „Reichsteilung“ daher ihren Anspruch geltend und teilten sich das Territorium nach einem kurzen Waffengang 1947 faktisch auf.
Dabei hätte es bleiben können, hätte Kaschmir nicht auch noch zur ideologischen Rechtfertigung der beiden neuen Staaten herhalten müssen.
Kaschmir war mehrheitlich muslimisch, und Staatsgründer M. A. Jinnah beharrte darauf, daß es deshalb zum neuen islamischen Staat geschlagen werden müsse. Indiens Jawaharlal Nehru dagegen hatte ein religiöses Kriterium immer abgelehnt, weil es seiner Idee eines säkularen Staates widersprach. Als der Maharadscha daher – ohne sein Volk zuvor zu befragen – für Indien optierte, ließ Nehru Srinagar das Kaschmirtal, das politische Herz des Staates, militärisch besetzen. Er verzichtete aber darauf, die Territorien westlich davon zu erobern, das in pakistanische Hände fiel.
Bis heute hat aber kein Land auf seinen Gesamtanspruch verzichtet, im Gegenteil. Für Pakistan bleibt die islamische Staatsidee unerfüllt, solange Kaschmir nicht in seiner vollen Größe einverleibt worden ist – genauso wie das Wort „Pakistan“ ohne den Buchstaben „k“ eine Lücke aufweist. Für Indien dagegen ist der Erhalt Kaschmirs die Garantie, daß die Indische Union als multireligiöse, multiethnische Gemeinschaft erhalten bleibt – ein Ausbrechen Kaschmirs wäre in den Augen indischer Parlamentarier der Beginn der nationalen Desintegration. Beide Länder fochten drei Kriege über diese Frage, ohne jedoch den Status quo verändert zu haben.
Warum kann dieser nicht festgeschrieben werden?
Je länger der Konflikt dauerte, desto stärker begann sich unter der direkt betroffenen Bevölkerung die kulturelle Identität des „Kaschmiryat“ politisch zu artikulieren. Innerhalb von vielen Jahren oszillierte sie, unter dem legendären Sheikh Abdullah, zwischen Autonomie und Sezession. Später versteckte sie sich hinter der pakistanischen Forderung der „Selbstbestimmung“ – was für Pakistan immer mit Anschluß gleichgesetzt wurde. Je mehr sich der politische Kampf nun aber in einen Bürgerkrieg verwandelt, desto stärker wird die Forderung der Bevölkerung nach einem eigenen Staat, unabhängig von Pakistan und Indien.
Weder Indien noch Pakistan waren jedoch bisher bereit, diese Idee auch nur gelten zu lassen. Aber je weniger sich die beiden verständigen können, desto mehr wird die Zahl der Kaschmiris wachsen, die den beiden Streithähnen das kostbare Beutestück wegnehmen wollen – um es für sich selbst zu beanspruchen. Bernard Imhasly, Neu Delhi
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