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Akte der Willkür

■ betr.: Einer flog vom Asylschiff, taz vom 18.10.1993

Man muß sich darüber freuen, daß überhaupt über solche Vorfälle wie den mit Abdelkader B. berichtet wird, der „wegen Gefährdung der Bordsicherheit und Mißachtung der Bordordnung“ letzte Woche vom Flüchtlingsschiff verwiesen wurde. Was hat der Kapitän nicht alles vorgebracht: Rauchen trotz Rauchverbot, brennende Zigaretten auf den Fußboden geschmissen, Mitarbeiter beschimpft und ihnen Schläge angedroht, Brot weggeworfen. Auch ich bin wankend geworden und habe Abdel präventiv mit „Lagerkoller“ entschuldigt. Als ich dann den Bericht gelesen habe, fiel mir auf, daß etwas nicht stimmen kann. Ich war vorher tage- und stundenlang mit Abdel (und RaucherInnen) zusammen gewesen, nie hat er eine angebotene Zigarette angenommen: Nichtraucher. Abdel hat schon wochenlang in anderen Unterkünften gewohnt, nie gab es Ärger. Am Dienstag hat Tanja in ihrem Deutschkurs Leute vom Schiff, die Abdel kennen, nach den Vorfällen gefragt. Ergebnis: Nichts. Der Verweis war eine Willkür, im besten Fall eine Verwechslung.

In den letzten Wochen haben wir noch in anderen Fällen gemerkt, wie katastrophal sich die Willkür von Einzelnen auswirken kann, seit die neuen Asylgesetze in Kraft sind. Es gibt jetzt für Flüchtline keine Sicherheitsreserve, keine Auffanglinie mehr, jedeR kleineN UnterfunktionärIn kann mit einem kleinen Schikänchen die schlimmsten Dinge anrichten. Vorletzte Woche: Ein Flüchtling, der gute Chancen hat, anerkannt zu werden, wird in der Ausländerbehörde verhaftet und am Steintor eingesperrt, sein Asylantrag ist unanfechtbar abgelehnt, er gilt als untergetaucht. Die Deportation ist für den übernächsten Tag vorgesehen. Eine Angestellte auf dem alten Schiff hatte einfach die Zustellungen des Bundesamtes an ihn immer mit „unbekannt“ zurückgehen lassen. Zum Glück hat er bei der Essensausgabe auf dem Schiff täglich unterschreiben müssen. Ich werde Abdelkader B. vorschlagen, gegen den Kapitän des Schiffes, Herrn Herbert Herweck, Strafantrag zu stellen wegen Verleumdung. übler Nachrede und falscher Verdächtigung. Jan Kuhlmann

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