: Einfach keinen Bock auf Schule
■ Schulschwänzerbus im Tiergarten soll Ursachen für Fernbleiben vom Unterricht erforschen / Beratungs- und Forschungsteam ist dreieinhalb Monate lang unterwegs
„Schulschwänzerbus“ steht in dicken Lettern gesprüht auf dem bunten VW-Bulli. Drinnen schläft Ahmad halb sitzend, halb liegend auf der Rückbank. Eigentlich sollte er jetzt im Schloß Charlottenburg sein. Ausflug der 8. Klasse der Breitscheid-Hauptschule in Moabit. Das findet der 14jährige langweilig, von Schule hält er ohnehin nicht viel. Außerdem seien die Lehrer unfair und gemein. Ahmad war schon seit über einer Woche nicht mehr beim Unterricht. Die Lehrer denken, er sei krank, die Eltern wissen von nichts. Jeden Morgen verläßt er pünktlich das Haus. Dann treibt er sich auf der Straße oder im Kaufhaus herum und manchmal auch beim Schulschwänzerbus.
„Er hat inzwischen Vertrauen zu uns, sonst würde er hier ja nicht schlafen“, sagt Birgit Henjes vom Bus-Team, während die Standheizung röhrt. Seit zehn Uhr sind sie und ihre Kollegin im Einsatz. Jeden Donnerstag stehen sie in der Moabiter Turmstraße vor der Breitscheid-Schule, wo sie versuchen, mit SchulschwänzerInnen ins Gespräch zu kommen. „Die Kids sollen sich selber melden, das ist unser Prinzip“, sagt Birgit Henjes. „Das war am Anfang gar nicht so einfach.“ Nach den Sommerferien im August sind die drei MitarbeiterInnen des Bus-Teams an die Schulen gegangen. Inzwischen waren über hundert Kids, meistens Jungs, im Bus, über 80 Fragebögen sind ausgefüllt. Die sind wichtig, denn Ursachenforschung ist das Hauptziel des dreieinhalb Monate dauernden Projekts der Jugendförderung des Bezirksamtes Tiergarten. Als Problem sei Schulschwänzen noch immer ein Tabu und werde an vielen Schulen geleugnet, meint Manuaela Lüder.
Forschung geht nur über das persönliche Gespräch. Da erzählen die Kids von ihren Sorgen und erwarten auch Hilfe. „Aber in dem kurzfristigen Rahmen ist Sozialarbeit nicht möglich“, sagt Manuela Lüders. Doch es gehe immer wieder um Streß in der Familie, einer der Hauptgründe des Schwänzens. „Die Schule selbst wird von den Kids oft als zu theoretisch und zu langweilig empfunden“, erzählt Birgit Henjes. Auch fehlende Mitbestimmung werde oft beklagt. Angst vor Gewalt nennen Jugendliche dagegen nur selten.
Verschärft werden diese Konflikte dadurch, daß die meisten SchulschwänzerInnen zwischen 14 und 17 Jahre alt und damit mitten in der Pubertät sind. Die ist für Joachim Printe, Leiter der Breitscheid-Hauptschule, wichtigste Ursache des Schwänzens. „Die Jugendlichen nabeln sich von den Autoritäten ab“, sagt er. Bei den meisten sei dies eine vorübergehende Phase. Problematisch seien die Dauerschwänzer. Viele von ihnen seine Trebegäger, ein Teil mache aus Schulangst blau. Von ihnen gebe es in seiner Schule durchschnittlich einen pro Klasse. Die Zahl der Schulschwänzer generell habe sich aber kaum verändert. Wenn einE SchülerIn fehlt, wird zunächst einmal zu Hause nachgefragt. Gespräche mit den Eltern, auch Hausbesuche folgen. Hilft das alles nichts, schreibt Schulleiter Printe eine Schulversäumnisanzeige. Zehn- bis 15mal im Jahr fordert er so Kinder zum Schulbesuch auf und droht mit einer Geldbuße bis zu 500 Mark. In harten Fällen schaltet er das Jugendamt ein. Am wichtigsten sei es jedoch, sich mit dem Einzelfall auseinanderzusetzen: „Denn jeder Schwänzer hat einen individuellen Grund.“
Sascha und Marc beispielsweise haben „einfach keinen Bock zum Nähen“. Inzwischen ist es halb zwölf, Pausenzeit. Die sieben Sitzplätze im Bus sind voll, drei Jungs stehen vor der Tür. Das Radio wird lautgedreht, Luftballons knallen. „Gib mir mal 'ne Zigarette“, sagt Marc aus der achten Klasse. Er hat Anfang des Jahres sieben Monate am Stück blau gemacht, war gleichzeitig auf Trebe. „Erst haben sie mit mir geredet, dann gedroht, daß ich von der Schule fliege.“ Inzwischen schwänzt er kaum noch. Bei Kai, seinem Klassenkamerad, sieht das anders aus. „Montags und freitags hab' ich einfach keinen Bock“, sagt er. Er hat jetzt nicht „Nähen“, sondern „Metall“, und Lust darauf. Um zehn vor zwölf trabt er zur Schule zurück. Sascha, Marc und Ahmad bleiben. „Lange aber nicht mehr“, sagt Marc. „Mit den Lehrern hier im Nacken macht das ja keinen Spaß.“ Spätestens um zwei ist sowieso Schluß, dann hat das Bus-Team Feierabend. Sabine am Orde
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