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„Hauptsache ehrliches Theater!“

■ Heute: Hartmut Cyriacks und Peter Nissen, Dramaturgen am Ohnsorg-Theater

Peter Nissen kommt aus einer anderen Welt. Als er 1963 eingeschult wurde, gab es in seiner Klasse nur einen Jungen, der Hochdeutsch sprach: das war der Sohn des Schulrektors. Der war Außenseiter, obgleich geachtet, denn Lehrer war doch einer der akademischen Berufe, die man in dem friesischen Dorf anerkannte - Lehrer, Arzt und Pastor. Und als er die Schule fertig hatte, wollte Peter gleiches werden. Er ging nach Kiel und nahm ein Lehramtstudium auf. „Unter diesem Himmel lernt man kein Theater“, lautet die Kapitelüberschrift eines Buches über Ohnsorgmitarbeiter, in dem Peter Nissen seine Heimat vorstellt. „Theater gelernt“ hat er erst am Ohnsorg, wohin ihn allein die Sprache verschlagen hat.

„Man stolpert da irgendwie rein, und dann ist man verloren“, sagt auch Hartmut Cyriacks, der ebenfalls mit dreißig nach dem Studium über die Brücke der Sprache ans Ohnsorgtheater kam. Zusammen sind sie die Dramaturgen-Zwillinge; Interviews wollen sie ungern allein geben, weil sie ja auch sonst alles gemeinsam machen. Die Öffentlichkeitsarbeit, das Lesen neuer Stücke, Vorschläge zum Spielplan sowie alles, „was hier sonst keiner macht“. Und natürlich die Übertragungen von Stücken ins Plattdeutsche. „Wenn man das zu zweit macht, hat man immer gleich ein Korrektiv“, erklärt Nissen die Vorteile der gemeinsamen Arbeit und Cyriacks ergänzt: „Dadurch, daß wir uns unsere Vorschläge notwendigerweise mündlich mitteilen, sind wir gleich viel näher an der gesprochenen Sprache. Das ist lebendige Bühnensprache.“

Die Palette ihrer oder der von ihnen initiierten Übersetzungen ins Niederdeutsche mag den Ohnsorgächter überraschen: unter anderem standen Fassbinders Bremer Freiheit und Turrinis Josef und Maria auf dem Spielplan, wobei letzteres bei Karstadt in der Mönckebergstraße aufgeführt wurde. Daß sie in den Augen ihrer Altersgenossen trotzdem nicht gearde am hipsten Theater der Stadt arbeiten, ist den beiden natürlich klar. „Das ist doch bei uns allen so, daß wir mit dem Ohnsorg fernsehmäßig groß geworden sind und uns dann irgendwann verabschiedet haben, weil uns die Stücke nicht mehr interessierten. Das ist der Fluch unserer Fernsehpopularität“, kann sich Cyriacks ereifern, „die zeigen eben immer nur die Lustspiele. Einen Hauptmann wollen die nicht haben.“

Daß sie bei einem potentiellen Jungpublikum erst mal die Erwartungshaltung knacken müssen, merken sie auf jeder Fete, wo die Arbeit ihres Berufes stets bewundernd, der Ort der Ausübung aber im allgemeinen mitleidig desinteressiert kommentiert wird. „Da setzt unser Missionsgeist ein. Hauptsache ist doch, daß man ehrliches Theater macht. Also bei Faßbinder kein Happy End erfindet, aber auch einen Schwank nicht als hohe Literatur deklariert.“

Mit Unterhaltungstheater hat keiner von ihnen Probleme, im Gegenteil, sie fühlen sich heute geradezu verpflichtet, dem Publikum Gelegenheit zum Amüsement zu verschaffen. Deshalb ließen sie auch spielen, als der Golfkrieg ausbrach: „Ich gestehe heute jedem zu, aus der Realität zu fliehen“, sagt Cyriacks geläutert, der sein Examen über Theater im Dritten Reich schrieb, und Nissen fügt äußerst clever an, daß man mit einer Borchert-Lesung den Krieg ja auch nicht verhindert hätte.

Bei Dingen, die sie nicht selbst entscheiden wollen, benützen sie den Schnack: „Das 's Chefsache“. Und der neue Chef, Thomas Bayer, hat entschieden, Cyriacks und Nissen sollen Ende der Spielzeit gehen. Angst vor der Zukunft haben sie keine, arbeiten sie doch schon heute für den Rundfunk und ähnliches - nur daß sie wohl kaum eine Doppelanstellung finden werden, das stimmt sie doch traurig.

Christiane Kühl

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