: Patienten verzweifelt gesucht
■ Aids-Skandal: Krankenhäuser durchforsten ihre Unterlagen / Gefordert wird ein neues Blutspendesystem
Hamburg (dpa) – Der Aids- Skandal zieht immer weitere Kreise: In deutschen Krankenhäusern hat die systematische Suche nach Patienten begonnen, die eventuell durch HIV-verseuchte Blutprodukte infiziert wurden. Am Wochenende wurde deutlich, daß offenbar ein ganzes Netz von Firmen in den fahrlässigen Umgang mit Spenderblut verstrickt ist. Die Regierung in Sachsen-Anhalt stellte Strafanzeige gegen den Blutprodukte-Hersteller Pharma Dessau GmbH. Indessen verlangte die Unionsfraktion mehr staatliche Kontrolle. Der Pharma-Kritiker Ulrich Moebius forderte eine vollständige Umstrukturierung des Blutspende-Systems und eine Quarantänelagerung für Plasma- Produkte.
Die Firma Pharma Dessau soll von Mai 1991 bis Oktober 1992 Lieferungen der am Donnerstag geschlossenen Koblenzer Firma UB Plasma Labor verarbeitet haben, obwohl die Zertifikate des Lieferanten bezüglich Aids-Tests Mängel aufwiesen. Pharma Dessau stehe unter dem Verdacht, gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen zu haben, so das Sozialministerium in Magdeburg.
Bundesweit ging die Fahndung nach Abnehmern von Blutprodukten von UB Plasma weiter. Auch in Berlin und Sachsen wurden Präparate der Firma sichergestellt. Im Krankenhaus Torgau (Sachsen) sollen nach Angaben des Innenministeriums vom Sonntag noch in den vergangenen vier bis fünf Wochen 87 von insgesamt 100 Plasmabeuteln bei Operationen eingesetzt worden sein. Patientenunterlagen würden bereits geprüft. UB Plasma soll unzureichend oder gar nicht auf HIV kontrollierte Produkte aus Spenderblut geliefert haben. Zwei führende Mitarbeiter wurden unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung verhaftet. Sie wurden auch am Wochenende verhört. Einzelheiten wollte der Leitende Oberstaatsanwalt Norbert Wiese am Sonntag aber nicht mitteilen.
In Hessen durchforstete das Klinikum Höchst bereits seine Krankenunterlagen, weil zwischen Januar 1990 und Februar 1991 rund 1.800 Beutel von UB Plasma geliefert wurden. Damit wurden laut Verwaltungsdirektor etwa 400 bis 500 Patienten behandelt. In Bayern soll in dieser Woche in zunächst zwei oder drei Krankenhäusern die systematische Suche nach betroffenen Patienten beginnen. Auch in anderen Ländern wie Thüringen werden die Karteien gesichtet. Patienten, die sich durch Blutprodukte infiziert haben könnten, wurde mehrfach empfohlen, sich freiwillig auf Aids testen zu lassen.
Die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft wies darauf hin, daß die Sichtung der Patientenakten ein personalintensives und teures Unterfangen sei. Allein in Niedersachsen würde es knapp 87 Millionen Mark verschlingen.
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