piwik no script img

Willkommen in der „West-Family“

Zu Besuch bei der „Firma“: Von einer Solo-Präsentation der Ökozigarette „New West“ berichtet  ■ Detlef Kuhlbrodt

Fast jeder kennt wohl inzwischen jemanden, der für die „Firma“ tätig ist. Einige schämen sich zwar noch ein bißchen und lassen ihre Bekannten im unklaren über die Gründe für ihren plötzlichen Reichtum; die meisten der bundesweit 400.000 hauptamtlichen Mitarbeiter der „Kommunikation“ – wie sich die Werbung inzwischen orwellmäßig umbenannt hat – erwirtschaften einen Jahresumsatz von 44 Milliarden Mark und bekennen inzwischen ganz selbstbewußt: „Ich bin dabei.“ Man könne sich dem heute auch nicht mehr entziehen, erklären sie; niemand hätte doch etwas von dieser „moralinsauren“ Prinzipienreiterei, und außerdem könnte man dort doch auch viel Gutes bewirken.

Ein paar Wochen lang rief der – wie man im Osten so sagt – „urst sympathische“ Ex-Redakteur T. an, den ich von einer DDR-Frauenzeitschrift kannte. Er arbeite inzwischen für eine Berliner „Agentur für Kommunikation“, druckste er ein bißchen herum, und ob ich denn nicht Lust hätte, nach Hamburg zu fahren. Dort nämlich würde eine Art Ökozigarette („New West“) der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Um nicht unhöflich zu erscheinen, schützte ich zunächst „wichtigere“ Unternehmungen vor. T. ließ nicht locker, obgleich die Pressekonferenz längst gelaufen war. Er könne mir auch andere Termine vermitteln. Steter Tropfen höhlt den Stein. Rauchen ist prima. Das Projekt „Letzte Zigarette“ (Italo Svevo) hatte ich sowieso schon vor Jahren aufgegeben. Und den Nichtraucherterroristen sollte noch mal vor Augen gehalten werden, daß bis auf Kafka eigentlich alle Geistesgrößen der Moderne nikotinsüchtig waren: Freud rauchte wie ein Idiot, bei den Vorlesungen des französischen Modepsychoanalytikers Jacques Lacan wurde so viel geraucht, daß er sie schließlich einstellen mußte; auch Sartre, Che Guevara, Ingeborg Bachmann rauchten mehr oder weniger ununterbrochen. Denen wäre es sicher nie eingefallen, ihre Sucht mit einem defensiven „Ich rauche gern“ zu verteidigen. Als T. dann sagte, daß man selbstverständlich auch einen „Flieger“ bezahlen würde, sagte ich zu. Ich könnte ja auch noch ein paar alte Freunde besuchen, und irgendwie gefiel mir in meiner Naivität die Rolle des Doppelagenten, auch wenn ich das Bestechungsgeld (544 Mark kostete der Flug) eigentlich lieber in bar erhalten hätte.

Doch mit der „Reklamokratie“ (Spiegel), die in ihrer entwickeltsten Form nicht mehr so sehr bestimmte Produkte, sondern weit umfassender die „Idee des Konsumkapitalismus“ (FR) an sich, die totale Verdinglichung, kurz die schrille Welt widerspruchsfreier Warenbeziehungen propagiert, läßt sich nicht spaßen. Durch die Annahme des Fluges hatte ich sozusagen schon eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Es sei übrigens völlig egal, was ich nachher schreiben würde, meinten enttäuschte Freunde. Die Agentur würde wahrscheinlich nach Zeilen bezahlt – d.h. eine unflätige Beschimpfung diene ihr nicht weniger als eine begeisterte Würdigung.

Im besten Viertel der Stadt und ganz in Schwarz gekleidet erwartet mich Klaus- Peter Schmidt (44) in seinem schicken Büro. Schmidt studierte in der DDR Psychologie, saß ein Jahr lang als politischer Häftling im DDR-Knast und ist inzwischen Marketingleiter für die erfolgreichste „Wachstumsfamilie im deutschen Markt“, die „West- Family“, die mit einem Marktanteil von 7,5 Prozent mittlerweile auf Platz 3 (hinter Marlboro und HB) und circa 2,5 Milliarden Mark im Jahr umsetzt.

In Reihe (und irgendwie wie in der DDR) schmücken diverse Zigarettenpackungen die Bürowände. Dunkel getönte Scheiben, neue Wilde mit Firmenemblem, ein „Werner-Kalender“, TV, Video, Compactanlage, die Hülle einer Ray-Ban-Brille und ein überlebensgroßer Pinguin mit einem Schild – „Ich bin hier der Chef“ – , unterstreichen den Führungsanspruch des Oberkreativen. Die Fenster zum Park sind geöffnet (Kettenraucher?). Um jeden Verdacht auf Sucht abzuwehren, rauchen wir kontrolliert, aber doch regelmäßig. „Das Thema Rauchen und Gesundheit ist übrigens etwas, was wir normalerweise aussparen“, lacht Peter Schidt ein wenig verlegen; ein Werbeverbot führe allerdings – wie man statistisch nachweisen könnte – nicht dazu, daß weniger geraucht werden würde, sondern mache es schwierig, Innovationen im Leichtrauchbereich durchzusetzen.

Der Leichtrauchbereich liegt der Zigarettenindustrie sehr am Herzen. Der „Strangraucher“ dagegen darf sich freuen, daß er überhaupt noch geduldet wird. Nicht den leisesten Protest hörte man seitens der Zigarettenfirmen, als am 1. Januar 1993 durch eine neue fiese EG-Rechtlinie Millionen Ohne-Filter-Raucher geschmacklich entwurzelt wurden. Seitdem dürfen Zigaretten in allen Mitgliedsstaaten außer Griechenland nur noch eine Kondensat-Höchstmenge von 15 Milligramm haben.

Mit „Strangzigaretten“ will die Zigarettenwerbung nicht mehr soviel zu tun haben. Denn was für den Nichtraucherterroristen die Raucher, sind für die Leichtraucher die Ohne-Filter-Raucher: undisziplinierte Typen, die arbeiten, weil es ihnen Spaß macht, denen ihre Karriere egal ist und die nicht an einer Familiengründung interessiert sind. Ihre Sorten gelten als „Defensivmarken“ und werden nicht mehr beworben.

Mit seinen „Offensivmarken“ umwirbt Herr Schmidt statt dessen eine „Zielgruppe“, deren Eigenschaften aus der jüngsten „Shell- Jugendstudie“ zu stammen scheinen: Der typische „West“-Raucher ist unter dreißig, „arbeitet in erster Linie, um Geld zu verdienen; macht dabei einen ,ordentlichen‘ Job und möchte ganz gern weiterkommen, ohne sich übermäßig anzustrengen (...) Am liebsten beschäftigt er sich mit Musik, Sport und witziger junger Mode. (...) Spezielle ,West‘-affine Gruppen sind auch Video- und PC-Freaks, Fun-Sportler und ganz allgemein ,junge Verückte‘.“ Was an solchen Leuten, die die „selbstbewußte Marke“ genießen, „mit der man das Leben verrückt und lustig gestalten kann, ohne dabei den sozial akzeptierten Bereich zu verlassen“, nun besonders „anders“ und verrückt ist, sei dahingestellt. In jedem Fall („wie soll ich das sagen, das klingt so pathetisch, aber ich meine das schon so ein bißchen“) ist es für den Kommunikator wichtig, „daß man seine Zielgruppe liebt. Es geht nicht mehr darum, möglichst viele Leute zu haben, die mich kaufen, sondern ich muß den Leuten was geben. Heute erwarten die Leute auch Einstellungen und Haltungen von großen Marken, und die kann man nur echt machen, wenn man auch dahintersteht.“

Die so echt gemachten „Einstellungen und Haltungen“, die „West“ „kommuniziert“, wiederholen natürlich nur den Common sense; die Botschaft der „provokativen“ Plakate, auf denen junge Normalbürger ihr Selbstbewußtsein dadurch demonstrieren, daß sie „eher andersartig wirkenden Typen“ (Aliens, Gespenster, skurrile Schwarze, Dominas und Tunten – den Exhibitionisten zog man recht schnell zurück) Zigaretten offerieren, erschöpft sich, wenn man gutwillig ist, in einem „seid nett zueinander“, die Ökozigarette „New West“ („wir bezeichnen die eigentlich ungern als Ökozigarette“), die auf dies und das „der Umwelt zuliebe“ verzichtet, besetzt halt freundlicherweise ein bislang vakantes Marktsegment. Auch das sog. Eventsponsoring mag zwar ganz hilfreich für die Gesponsorten sein (documenta, angemalte russische Trägerrakete), läuft aber auch nur darauf hinaus, Künstler als Werbedesigner einzukaufen.

Wer die „Firma“ besucht, findet sich plötzlich in einem seltsamen Paralleluniversum, in dem es wie in der Wirklichkeit sympathische, widerwärtige, kluge und völlig bescheuerte Menschen gibt (die als 27jährige „Effizienzer“ hochdebil durch die Werbebranche-Zeitschriften geistern), die allesamt eifrig darum bemüht sind, aus den in Marktforschung gewonnenen Daten ihre „Zielgruppe“ zu finden, der sie in der Werbung dann ein geklontes Spiegelbild entgegenwerfen, auf daß sich der Narzismus daran bediene. Die Werbung ist eine vampiristische Simulationsmaschine, die die Bilder und Ideologien der Wirklichkeit nach ihrer Verwertbarkeit plündert und ihr Terrain dabei ständig erweitert. Nicht nur in Kultur und Sport (ohne Sponsoring läuft in vielen Bereichen nichts mehr), sondern auch in den Fragen des politischen Meinens. Das sei nicht die Schuld der Industrie, findet Peter Schmidt. „Der Staat beweist immer weniger Haltung in gesellschaftspolitischen Dingen. Das ist ein Trend. Da wird dann sozusagen ein Gegengewicht durch Werbekommunikation geschaffen. Nicht weil die Industrie das will, sondern weil die Verbraucher das wollen. Die verlangen von Marken, daß sie auch Haltungen einnehmen zu gesellschaftspolitischen Fragen. Nicht in der Tagespolitik – also Ausländer ja oder Ausländer nein – sondern im Sinne von moralischen Fragen.“

Nun ja. In den USA unterstützen Zigarettenkonzerne inzwischen auch Bürgerinitiativen für Umweltschutz. Die PR-Agenturen, die für Reemtsma arbeiten, werden übrigens nicht wie bei anderen nach Erfolg – also Zeile – bezahlt, sondern bekommen ein Festhonorar, versichert mir der freundliche Werbechef, und es sei auch nicht völlig egal, was ich schreiben würde. „Es muß ja nicht immer positiv sein – eine Marke wie die ,West‘ scheut ja keine Auseinandersetzung – doch es hängt schon ein bißchen von der Tonality ab, mit der da geschrieben wird.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen