: Und wieder stellt sich die Systemfrage
■ Die jungen Technik-Pioniere von "MDR-Sputnik" ziehen von Berlin nach Halle: Voll digital mit wenig Personal
„Wir suchen doch auch schon seit Jahren nach einem funktionierenden System und haben noch keines gefunden“, so die Sicht eines öffentlich-rechtlichen Technik-Journalisten über die Realisierungschancen für das wohl ehrgeizigste Konzept für Computer-aided Radio in Deutschland.
Heute zieht „MDR Sputnik“, der Nachfolgesender des umkämpften DDR-Jugendfunks „DT 64“, aus den alten Ostberliner Funkhäusern in ein vierzig Millionen Mark teures neues Domizil nach Halle. Im Kern des renovierten Altbaus wird die Radioproduktion digital ablaufen: der Schnitt, die Zuspielung von Textbeiträgen und Musik, die Bearbeitung von Agenturmaterial und die Archivrecherche geschehen auf Computerbasis.
Handelsübliche PCs sind inzwischen bequem in der Lage, die gewaltigen Datenmengen von digitalisierten Tonsignalen in ausreichender Menge zu bearbeiten und abzuspeichern. Der Computer auf dem Tisch des Redakteurs reicht vollkommen aus zur Produktion der Sendung in der Redaktionsstube, zum Schnitt von Korrespondentenberichten, zur Planung des Musikteppichs, zum Rückgriff auf Material aus dem O-Ton- oder Zeitungsarchiv und zum Versenden der fertigen Beiträge via Datenleitung in die Sprecherkabine.
„MDR Sputnik“ ist die erste Radiowelle in der ARD, die in naher Zukunft ihr Programm weitgehend per Computer produziert. Natürlich gibt es verschiedene Ansätze zur Nutzung von Computer- aided Radio in den großen ARD- Rundfunkanstalten, doch in den meisten Fällen handelt es sich um „Insellösungen“ für die aktuellen Abteilungen oder Wellen auf der Basis spezieller Computersysteme. So installiert der WDR gerade einen sogenannten „Aktualitätenspeicher“, wo die Korrespondentenberichte zentral in einer Work- Station abgespeichert werden. Statt die Berichte im zentralen Überspielraum der Sendeanstalt für die verschiedensten aktuellen Sendungen immer wieder neu in voller Länge auf Tonband zu kopieren und dann individuell zu kürzen, können nun die Redakteure der aktuellen Sendungen die jeweiligen Dateien auf ihrem Bildschirm abrufen und ohne Bandabfall bearbeiten. Ähnliche Systeme haben sich der NDR und auch der Bayerische Rundfunk fürs Aktuelle angeschafft.
Ulrich Clauß, stellvertretender Wellenchef von „MDR Sputnik“ und verantwortlich für das technische Konzept, macht sich ein wenig über die Techniker in den Alt-Anstalten lustig: „Die Ingenieure in der ARD denken immer noch nur in Großlösungen: für jedes Problem eine neue Hardware. Wir dagegen setzen auf IBM-kompatible PCs.“
Angepeilt ist demnächst die hausinterne Vernetzung aller Landesrundfunkhäuser in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu Local Area Networks, die überregional über angemietete Postleitungen als Wide Area Networks untereinander über die Landesgrenzen verbunden sind.
Technikmensch Ulrich Clauß und Wellenchef Michael Schiewack legen Wert auf die Feststellung, daß das Programm unter der Volldigitalisierung nicht leiden müsse. Angesichts des seit der Wende von 150 auf 28 Redakteure zusammengeschrumpften Personals stellt sich für sie natürlich die Frage nach effektiverer Produktion. Noch immer pflegt „Sputnik“ eine relativ aufwendige Art von Radioproduktion, oft mit Comedy-Elementen unter Einsatz verschiedener Sprecherstimmen, O- Ton-Samples und Geräuscheffekten. Diese Kurzhörspiele könnten demnächst zeitsparend am Computer vorbereitet und gemischt werden, so das Chefduo.
Die Hierarchen des MDR wollen den schwerfälligen Riesen im Westen zeigen, wie eine „schlanke Anstalt“ in Zukunft kostengünstig Radio macht. „Sputnik“ ist dafür der ideale Testballon, denn im Moment ist der Sender nur über Satellit und Kabel zu empfangen, unterliegt also nicht dem Diktat der Quote. Schiewack: „In fünf Jahren wird in Halle ein volldigitalisiertes Funkhaus gebaut. Man kann so über unser Projekt Erfahrungen machen, die später gesammelt in ein ganzes Funkhaus einfließen.“ Und Ulrich Clauß meint: „Wir versuchen, in kleinen Einheiten neue Dinge zu entwickeln, um sie dann dem Gesamtunternehmen zur Verfügung zu stellen.“ Beim heutigen Neustart in Halle wird allerdings noch mit herkömmlicher Technik produziert. Schließlich wollen die Macher gleich zwei Stufen der Radiotechnologie in kürzester Zeit überspringen: von der Sendung mit Techniker und Produktionsassistent hinter der Scheibe geht es heute erst einmal zu den „Selbstfahrerstudios“, wo die Moderatoren die Mischpulte und Geräteperipherie im Studio selbst bedienen. Der Übergang zum Computerstudio erfolgt dann bis Anfang kommenden Jahres. Das Selbstfahren sollte schließlich erst einmal erprobt werden, um im Zweifelsfall auch die analoge Technik bedienen zu können. Es ist eben nun einmal eine alte Computerweisheit: Je vernetzter das System, desto größer der Schaden, den die geringste Ursache anrichten kann. Sprich: Fällt der Monitor aus, dann muß man auch Radio wieder von Hand machen können. Jürgen Bischoff
„MDR-Sputnik“ ist in Stereo zu empfangen auf Astra, Tonunterträger beim TV-Programm premiere, sowie in einer Reihe von Kabelnetzen, demnächst auch in Berlin.
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