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„Populistische Kriminalpolitik“

■ „Der Rechtsstaat braucht Zähne" / Professoren-Streit um den großen Lauschangriff

“Kriminalitätsbekämpfung cotra BürgerInnenrechte“ war der Titel einer Veranstaltung der Grünen Alternativen Studentenliste (GAL) an der Universität Hannover. „Über die nach der faktischen Abschaffung der Grundrechte auf Asyl von den Konservativen als Wahlkampfschlager auserkorende Innere Sicherheit“ sollte debattiert werden - und es wurde stellenweise richtig heftig. Christian Pfeiffer, Leiter des niedersächsischen Kriminologischen Forschungsinstitut, der hannoversche Politologe Jürgen Seifert und Silke Stokar, Landtagskandidatin von Bündnis 90/Grüne, warfen der Bundesregierung vor, durch ihre Politik an der zunehmenden Kriminalität nicht schuldlos zu sein. Die „Verarmungsgesetze“ der Bundesregierung, die den Reichen reicher und die Armen ärmer machten, hätten großen Anteil an den vor allem bei kleineren Delikten steigenden Kriminalitätsrate, so Pfeiffer. „Die beste Kriminalpolitk ist eine gute Sozialpolitik“, ergänzte Stokar in der noch harmonischen Diskussionsrunde.

Doch bei der Frage nach der Bekämpfung organisierter Kriminalität kam es zu heftigen Wortwechseln zwischen Pfeiffer auf der einen und Seifert, Stokar und eines großen Teils der rund 80 ZuhörerInnen auf der anderen Seite. Mit Abhörmaßnahmen könne die organisierte Kriminalität besser bekämpf werden, so Pfeiffer, der seine These mit „guten Erfahrungen anderer Länder wie Italien“ bestädigt sah. Er lehne zwar den von der Bundesregierung geforderten großen Lauschangriff in dieser Form ab, „doch der Rechtsstaat braucht Zähne“. Wenn der Lauschangriff so wie in Amerika praktiziert werde, wo Abhörmaßnahmen staatsnwaltlich genehmigt und nach Beendigung der Ermittlungen veröffentlicht werden müssen, könne er damit gut leben.

„Damit spielen sie der Gegenseite in die Hände“, warf ihm Seifert vor. „Die populistische Kriminalpolitik der Union“ müsse vom Tisch. Pfeiffer sollte sich nicht wundern, wenn durch seine Vorschläge „alle Dämme brechen“. Der große Lauschangriff sei nur der Anfang, mit dem die Union das „Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz“ weiter aushebeln wolle.

„Hier wird eine Aufrüstungsspirale ohne erkennbares Ende in Gang gesetzt“, fürchtet Silke Stokar. Während die Grüne Innenpoliterin ankündigte, von ihrer ablehnenden Haltung „gegen jede Form von Abhörmaßmen keinen Millimeter“ abzurücken, nannte Seifert die Position von Christian Pfeiffer als denkbaren Kompromiß, den er mit Bauchschmerzen mittragen könne. Doch wer wie Pfeiffer zum jetztigen Zeitpunkt öffentliche Überlegungen anstelle, „wird von der Kampagne vereinbart und gefährdet durch seine Voreiligkeit den Kompromiß, den er ansrebt“. Das gesellschaftspolitische Versagen der Bundesregierung müsse aufgedeckt werden, anstatt den Glauben an Sanktionen in der Bevölkerung weiter zu schüren. Denn schon jetzt hat „die Gesellschaft inzwischen mehr Respekt vor dem Bankgeheimnis als vor der Intimsphäre.“ Danyel Reiche

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