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Geheimer Staatsterrorismus

Italiens abwegige Geheimdienste unterstützten jahrelang Terrorgruppen mit Waffen, falschen Pässen und inszenierten Bombenfunden  ■ Aus Rom Werner Raith

Daß sie schon einmal, Anfang der 70er Jahre, kräftig beim schnellen Aufbau immer militanterer Linksgruppen mithalfen, ist gerichtsnotorisch: Der damalige Turiner Untersuchungsrichter Luciano Violante, heute Vorsitzender der parlamentarischen Antimafia- Kommission, hatte sich nach allerlei rechten Putsch-Vorbereitungen und Bombenattentaten den damaligen Chef des Geheimdienstes SID, General Miceli vorgenommen. Der sagte ihm nach dem Verhör, man schrieb das Jahr 1974: „Von jetzt an werden sie nichts mehr vom Rechtsterrorismus hören. Von jetzt an hören Sie nur noch vom Linksterrorismus.“

Und so war's denn auch – fortan begannen die Roten Brigaden und die Prima linea sowie eine Hundertschaft weiterer, kleinerer Gruppen ihren scheinbar unaufhaltsamen Weg in den blanken Terror. Entführungen nahmen zu, aus dem gelegentlichen In-die- Beine-Schießen wurden regelrechte Hinrichtungen; Höhepunkt war 1978 die Entführung und spätere Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro.

Mittlerweile ist aktenkundig, daß sich innerhalb der Linksgruppen von Anfang an allerlei eingeschleuste Geheimdienstler tummelten, und daß eine Reihe der Brigadisten von ihnen gedeckt, mitunter sogar ins Ausland geschafft wurden. Waffen kamen ebenso über Geheimdienste zu den Brigaden wie falsche Ausweise und Camouflage-Materialien.

An derlei abwegige Tätigkeiten der Geheimdienste denken in Italien derzeit wieder viele. Zutagegekommen sind in den letzten Wochen geradezu haarsträubende Taten der in Italien halbironisch „007“ genannten Geheimen. So hatten Mitglieder des zivilen Geheimdiestes SISDE der Öffentlichkeit eine Reihe von Bombenfunden inszeniert – in Wirklichkeit hatten sie diese selbst vorher in Zügen und Autos versteckt. Eine dunkle Geheimorganisation namens „Falange armata“ ruft regelmäßig nach Bombenanschlägen, Schußwechseln mit Carabinieri oder grausamen Mordtaten Immigranten und Zigeuner an und droht mit weiteren Anschlägen – in Wirklichkeit, wie sich nun erwiesen hat, stecken Mitglieder des militärischen Geheimdienstes SISMI hinter diesen Anrufen. Die Frage, ob sie auch für die Mordtaten selbst verantwortlich sind, ist bisher unbeantwortet, wahrscheinlich nein: Die „Bekenner“-Anrufe kommen immer erst relativ spät nach den Attentaten. Daß es Bündnisse einzelner Agenten der Geheimdienste mit Mafia und anderen großkriminellen Organisationen gibt, ist allerdings gerichtsnotorisch – zu Jahresbeginn wurde einer der höchsten Offiziere des SISDE unter der Anschuldigung verhaftet, er habe den obersten Mafiaboss Toto Riina jahrelang geschützt.

Die Bombenattentate in Florenz, Mailand und Rom, die Mitte des Jahres insgesamt zehn Todesopfer forderten, werden allgemein der Mafia zugeschrieben – jedoch immer in Zusammenarbeit mit Geheimdienstzirkeln; dafür spricht schon die höchst kompliziert gesteuerte Tatausführung. Die abwegigen Geheimdienstler wollen nach Ermittleransicht einerseits der sizilianischen Dunkelmännerorganisation durch spektakuläre Ereignisse im Norden etwas Luft nach den massiven Festnahmeaktionen der letzten Monate verschaffen. Andererseits möchten sie in der Öffentlichkeit den Ruf nach mehr Geld für die Geheimdienste zwecks Verhinderung weiterer Anschläge stärken. Dem könnte auch eine als brillante Geheimdienstaktion deklarierte „Aufdeckung“ von Neugründungsversuchen rot-brigadistischer Zellen in der Nähe von norditalienischen Luftwaffenzentren gedient haben, die sich mehr und mehr als Geheimdienst-Ente erweist.

Das Spiel mit dem Feuer ist gefährlich. Nicht nur, daß nach Ansicht von Mitgliedern der Antimafia-Kommission die Mafia „mittlerweile besser über die Interna der Geheimdienste Bescheid weiß als die Kommission zu deren Überwachung“. Die bisher allesamt unbestraft gebliebenen Attentate ziehen bei politischen Hitz- und Wirrköpfen bereits wieder eine ganze Reihe möglicher Nachfolgetäter heran – nicht nur rechts, sondern auch links (siehe Interview).

Ministerpräsident Ciampi hat „aus der echten Besorgnis, daß sich aus Teilen des Staatsapparats wegen der Unkontrolliertheit ein Staatsterrorismus“ entwickeln könnte, eine grundlegende Reform der Geheimdienste angeordnet. Sie unterstehen nun dem Ministerpräsidenten persönlich, müssen alle Dokumente 60 Jahre aufheben und spätestens nach 15 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich machen, und sind der parlamentarischen Kontrollkommission jederzeit voll auskunftspflichtig. Außerdem wurde bereits jetzt ein gutes Sechstel aller „Geheimen“ gefeuert.

Das allerdings beruhigt längst niemanden mehr. „Könnte sein“, sinniert Luciano Violante, „daß die Geheimdienstler, einmal entlassen, dann nicht nur Terroristen Hilfe leisten, sondern selbst ganz neue, höchst raffinierte und noch viel effizientere Terrorismus- Gruppen aufbauen als wir sie bei uns bisher kennen.“

Die Alternative wäre freilich, die schwarzen Schafe aus schierer Angst doch im Staatsdienst zu behalten. Und das gefällt auch niemandem.

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