: Das Geheimnis des Goldenen Schnitts
In der Staatsoper wurde das „Gesicht '93“ gekürt, doch die Frage „Was ist Schönheit?“ konnte nicht restlos geklärt werden ■ Von Barbara Bollwahn
Ich kann auch anders. Das muß sich Filmregisseur Detlef Buck gedacht haben, als er sich dazu hinreißen ließ, als Jurymitglied beim Schönheitswetttbewerb „Gesicht '93“ über die Zukunft junger Menschen mitzuentscheiden. Ob ihn die Gala zu neuem Filmstoff inspiriert hat, wird man sehen. Vielleicht wollte er ja auch nur Jurykollegin Ornella Muti für sein nächstes Filmprojekt gewinnen. Wer weiß.
Zwischen den rotsamtenen Sitzen von Buck und Muti lagen Welten. Petra Schürmann – die mit der Goldkante –, Fotograf Peter Sachs, der Direktor des „Maritim Grand Hotel“, Sänger Paul Young und Oberjurore Claude Montana versperrten den direkten Blick auf Ornella. Der Kaugummi in ihrem sinnlichen Mund schadete zwar ihrer Ausstrahlung ein wenig, aber an Sympathie verlor sie dadurch nicht. Im Gegenteil.
Vom Wettbewerb um das schönste Gesicht, der zum vierten Mal stattfand, wurden mehr als nur gutgebaute Körper und Augenaufschlag erwartet. Es galt, den ramponierten Moderuf der Hauptstadt aufzupolieren. Weil auch Oberbürgermeister Eberhard Diepgen dieser Meinung war, schickte er seine Frau Monika ins Rennen, die Gala zu eröffnen. Die 1.400 Gäste bekamen ein provinziell klingendes Englisch und Französisch geboten. Und das bei Eintrittspreisen bis 500 Mark.
Die Gala sollte ein Zeichen dafür sein, „daß in Berlin engagierte, einfallsreiche und erfolgreiche Modemacher zu Hause sind“. Warum dann aber der französische Modezar Claude Montana, von dem Dior sagte, daß er kein Talent habe, mit seiner neuesten Kollektion eingeflogen wurde? Egal, der Ruf der Hauptstadt stand wieder einmal auf dem Spiel. Für Bild, die zusammen mit der Zeitschrift Max und der Agentur „Berlin Models“ die Spieglein-an-der-Wand-Aktion organisiert hatte, ist die Gala wie „Hansaplast auf die Wunden von Olympia und Hauptstadtumzug“.
Wie SanitäterInnen in Sachen Hauptstadt mußten sich die neun HauptstädterInnen gefühlt haben, die unter den dreißig Finalisten vertreten waren. Trotz einigermaßen ausgewogener Ost-West- Quote trennten die ehemaligen DDR- und BRD-Kids doch noch Welten. Für die dunkelhaarige Yvonne (19, 1,75 m) aus Marzahn kommt Modeln ganz klar an zweiter Stelle. Die Ausbildung zur Arzthelferin ist ihr wichtiger. Viel weniger Sorgen um ihre berufliche Zukunft macht sich dagegen Nora aus Westberlin. Noch hat die 16jährige keinen Schulabschluß. Aber da sie ganz sicher weiß, daß sie Model wird, lächelt sie lieber lasziv auf Fotos als für gute Zensuren. Während Nora auf Nikotin und Schokolade schwört, hält sich Yvonne mit viel Schlafen schön. Ähnliche tiefe Kluften taten sich bei den Männern auf. Stephen aus Westberlin (19, 1,84 m), dessen größtes Vorbild Gott ist und der sein Eigenheim am liebsten im All bauen möchte, trat gegen Carsten (25, 1,85 m) aus Halle an, der ganz bescheiden Hesse liest.
Der Weg der zwanzig Mädchen und zehn Jungen ins Finale im Scheinwerferlicht war hart. Sieben Castings mußten durchstanden und mehr als 60.000 Konkurrenten aus dem Schönheitsrennen geworfen werden. Als Belohnung gab's dann „Shootings“ auf Mauritius. Wegen dem Licht ging's jeden Morgen um 3.30 Uhr raus. Die Strapazen waren auf dem Mauritius-Video, das den Einzug der Schönen in grünen Catsuits und brustfreien grünen Hemden einleitete, nicht mal mehr zu erahnen. Kristallklare Buchten schrien geradezu nach dem neuen Duschgel von „Lux“. Den Hochlandwinden ging fast die Puste aus, so viele Haarschöpfe galt es zu zerzausen. Für Kontakt zu den Einheimischen blieb im Modegeschäft nicht allzuviel Zeit. Die schwarzen Mauritianer durften lediglich die schweren Koffer schleppen.
Ein Abend ganz im Zeichen der Schönheit. Aber was ist das eigentlich? Diese Frage bewegte auch den Moderator, der sein gewohntes Terrain, das RTL-Frühstücksfernsehen, gegen die Opernbühne eingetauscht hatte. Von Ornella Muti wollte Wolfram Kons wissen: „What is beauty?“ Ornella Muti schlagfertig: „It depends.“ „It depends on what?“ konterte Kons knallhart. „It depends on what do you mean with beauty.“ Kons kam nicht mehr dazu, ihr zu erklären, what he means with beauty.
Denn die Jurorin mußte das tun, wofür sie extra aus Rom angereist war. Nämlich Georgia (Nr. 2), die nicht nur zum weiblichen „Gesicht '93“ gekürt worden war, sondern auch noch zur „Haut '93“, den „Lux Skin Expert Award '93“ überreichen. Die 20jährige Wiesbadenerin, die Bacardi-Werbung liebt, ist an diesem Abend um fast eine halbe Million reicher geworden. Im nächsten Jahr wird sie bei „Supermodel of the World“ in Florida über den Laufsteg gehen. Und trotzdem hat sie einen heimlichen Wunsch. „Ein Privatfoto mit meinem Freund. Ohne Anziehsachen, ganz nackt. Das ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.“ Na ja, mit Geld läßt sich alles kaufen, Phantasie aber nicht.
Mit der Ost-West-Quote haperte es am Ende dann doch noch. Das Mannsgesicht '93 kommt aber wenigstens aus der Hauptstadt. Der 20jährige Wilmersdorfer fährt auf Tortellini alla Panna und schöne Frauen ab. Ob Tobias mit den grünen Augen weiterhin als Fahrradkurier durch die Stadt fahren wird, bleibt abzuwarten. Genau wie Georgia bekam er einen Rover geschenkt (sie einen dunkelroten, er einen türkisfarbenen, logo). Fahrradfahren ist eh zu gefährlich in Berlin.
Schön muß es sein, zu den Auserwählten zu gehören. Vom Scheinwerferlicht in der Oper ging es direkt ins „Maritim Grand Hotel“ in der Friedrichstraße. Alle wollten das Siegerpaar auf der Hoteltreppe sehen, fotografieren und filmen.
Georgia könnte, was den sinnlichen Mund betrifft, Ornella Mutis Tochter sein. Und Tobias hat etwas von Paul Newman, nicht von vorne, aber von der Seite. Das fand zumindest ein Ehepaar aus Wilmersdorf, das den Anblick der Jahresschönsten bei Geschnetzeltem und Kuchen genoß.
Was ist denn nun Schönheit? Ein Mund à la Ornella Muti und ein Seitenprofil wie von Paul Newman? Fragen wir eine, die es wissen muß. Die zeitlos schöne Petra Schürmann, bekannt aus Fernsehen und Fenstern, bei einem Glas Champagner: „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Es ist eine Frage der Proportionen im Ganzen. Die meisten wissen nicht, was der Goldene Schnitt ist.“
Auch die Prinzessin von Sachsen, oft Jurorin bei World- und Miss-Germany-Wahlen, hat es mit den Proportionen. Bei einem Glas Orangensaft plaudert die weißhaarige Erina aus dem herzöglichen Nähkästchen: „Die Körpermaße müssen stimmen. Schönheit ist nicht nur das Gesicht. Man muß sich auch artikulieren können.“ Während sie ein auf Royal-Papier gedrucktes Autogrammfoto mit Wappen unterschreibt, erzählt sie den muskelbepackten Backround- Sängern von Gee Morris, die neben Paul Young und Haddaway in der Oper aufgetreten waren, daß sie erst letzte Woche bei der Europa-Wahl in Gera war. Dann will die Pseudo-Edelblütige („der Großvater meines verstorbenen Mannes war der letzte Sachsenkönig“) ihrerseits eine Frage beantwortet haben: „Wo wird denn das kostenlose Montana-Parfüm verteilt?“
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