Von Westgeorgien nach Abchasien

■ Nach dem Erfolg gegen Gamsachurdia will Tbilissi gegen die abtrünnige Republik vorgehen / 250.000 Flüchtlinge

Moskau (taz) – Georgiens Regierungstruppen haben in den letzten Tagen einige Erfolge zu vermelden. Der Stützpunkt der Anhänger des ehemaligen Präsidenten Gamsachurdia, Sugdidi, ist gefallen. Einheiten stehen direkt an der Grenze zur verlorenen Republik Abchasien. Über den Verbleib des georgischen Duce, der nach seiner Vertreibung im Januar 1992 beim tschetschenischen Diktator Dudajew in der russischen Förderation Unterschlupf gefunden hatte, gibt es wie üblich widersprüchliche Angaben. Die abchasische Seite weist Behauptungen zurück, der rebellierende Expräsident hätte in der abtrünnigen Republik Zuflucht genommen. Tbilissi verbreitet diese Version lediglich, um auf abchasisches Gebiet vorstoßen zu können. Seine militärischen Erfolge erklärt Tbilissi mit der erhöhten Kampfbereitschaft der eigenen Truppen. Die Präsenz der Russen sei ein positiver psychlogischer Faktor. Zudem wird Moskau auch schweres militärisches Gerät geliefert haben.

Auch nach einem Sieg über den einstigen Sowjetdissidenten Gamsachurdia wird Georgien nicht zum Frieden finden. Zahlreiche Konfliktlinien durchziehen den Kaukasusflecken. Noch eint die gemeinsame Gegnerschaft die unterschiedlichen Interessenparteien. Doch die Widersprüche liegen tief. Schewardnadses ehemaliger Verteidigungsminister Kitowani rief zu einer militärischen Rückeroberung Abchasiens auf. Wie er stehen viele dem Konzept des Präsidenten ablehnend gegenüber, Georgien in einen föderalistischen Staat umzuwandeln. Sie befürworten einen von Tbilissi aus geführten Zentralstaat. Das bedeutet letztlich, die Beseitigung der Autonomien und kulturellen Selbständigkeiten der zahlreichen Völkerschaften des Landes. In diesem Vorhaben trennt Kitowani nichts von Gamsachurdia, der auf brutale Weise eine „Georgisierung“ des Kaukasusstaates betrieb. Er war es, der gleich nach seiner Machtübernahme die Autonomie des Gebietes Südossetien aufhob. Im Falle Abchasiens verfolgte er das gleiche Ziel. Schon jetzt kann von einem einheitlichen Staatswesen nicht die Rede sein. Der westliche Teil Mingrelien unterstützt entweder den dort gebürtigen Gamsachurdia oder verhält sich passiv. Relative Ruhe herrscht nur noch in Tbilissi und Südostgeorgien.

Eine gefährliche Entwicklung braut sich an der südwestlichen Schwarzmeerküste zusammen. Die autonome Republik Adscharien konnte sich bisher aus den blutigen Auseinandersetzungen heraushalten. Die Adscharier sind wie die Abchasen Moslems. Im Konflikt zwischen Schewardnadse und Gamsachurdia suchte der Präsident des obersten Sowjets in Batumi, Aslan Abaschidse, eine Mittlerrolle zu übernehmen. Seine Neutralität verschaffte dem Ethnokraten Gamsachurdia erneut eine gewisse Legitimation.

Schewardnadses wiederholtes Angebot, Abaschidse zum Premier zu machen, lehnte er ab. Adscharien liegt an der Grenze zur Türkei, die russische Truppen sichern. Diesen Umstand nutzt die graue Eminenz, um gegenüber Tbilissi indirekte Drohungen fallen zu lassen. Er hätte persönliche Kontakte zu vielen Leuten in Moskau, ließ er verlauten. Es ist klar, daß es sich dabei um Militärs und Geheimdienstler handelt.

Neben Kitowani und Abaschidse spielt auch der Chef der paramilitärischen Einheiten Mchedrioni, Iosselani, noch eine gewisse Rolle. Sie alle stehen einer Föderalisierung feindlich gegenüber. Ohne es zu sehen, treiben sie das Land zurück in einen partikularistischen Feudalismus mit selbsternannten lokalen Kriegsherren. Im Gegensatz zu Schewardnadse lehnen sie auch den Eintritt Georgiens in die GUS ab. Geopolitischen Realitäten wollen oder können sie keine Rechnung tragen. Sie erwiesen sich unfähhig, aus der ersehnten Unabhängigkeit mehr zu machen als einen georgischen Wahn, dem selbst die armenische und griechische Minderheit zum Opfer fiel.

Einen weiteren Destabilisierungsfaktor stellen 250.000 Flüchtlinge aus Abchasien dar. Nach berichten aus Tbilissi soll inzwischen nahezu die gesamte georgische Bevölkerung der abtrünnigen Republik vertrieben worden sein. Unzählige Jugendliche wuchsen mit der Waffe in der Hand auf. Georgien fehlen heute jegliche Mittel, um sie an ein friedliches Leben heranzuführen. Nationalistische Politiker dürften es nicht schwerhaben, diese Jugendlichen für eine gewaltsame Rückeroberung Abchasiens zu gewinnen. Sie sind die potentiellen Söldner des weitverbreiteten kriminellen Bandenwesens und der Willkürherrschaft lokaler Clans.

Viele Menschen glauben, nur noch ein Eingreifen der UNO könne Georgien vor dem endgültigen Zerfall bewahren. Die Russen haben Südossetien befriedet, im Abchasienkonflikt verhielt sich Moskau allerdings höchst ambivalent. Hier wurden auch innenpolitische Konflikte Rußlands ausgetragen. Allein deshalb ist auch das demokratische Rußland kein Garant für einen anhaltenden Friedensprozeß in dieser Region. Klaus-Helge Donath