: Heute, am 9. November, will Schwedt zeigen, wie demokra- tisch gesinnt die 50.000 Einwohner doch sind. Unter dem Motto „Keine Gewalt“ trommelt die Orts-SPD zur Demo. Doch die Kleinstadt bleibt Hochburg der Rechtsextremen. Und Hochburg der Gewalt. Aus Schwedt Annette Rogalla
Von wegen Ruhe und Ordnung
Der Oberbürgermeister von Schwedt an der Oder will nicht länger hilflos mit den Achseln zucken, wenn Pressevertreter kommen und ihn nach den Rechtsradikalen in der Stadt fragen. Ein Jahr lang hat Peter Schauer immer wieder beteuert, in der Stadt existierten keine rechten Gewalttäter. Dabei kennt er rechte Kampfhunde persönlich. Er weiß, daß Schwedt, 120 Kilometer nordöstlich von Berlin, seit der Wende als eine Hochburg der organisierten Neonazis in Brandenburg gilt. Die verbotene Nationalistische Front (NF) hat sich hier gleich nach der Wende niedergelassen. Die Liste der Gewalt von rechts reicht von Brandanschlägen auf Jugendclubs über Schutzgelderpressungen auf Schulhöfen bis hin zu Überfällen auf einzelne Jugendliche aus anderen Jugendszenen. Rapper wurden von Neonazis zusammengeschlagen. Weil sie weite Hosen tragen und schwarze Musik hören.
Seitdem die Regionalzeitungen schreiben „Wer sehen will, wie Deutsche den braunen Schlägertrupps nachgeben, und sich keiner mehr traut zu widersprechen, der fahre nach Schwedt“, kann der Oberbürgermeister nicht länger beschwichtigen. Peter Schauer tritt die Flucht nach vorn an – und organisiert eine Demo. Heute sollen die 50.000 Schwedter Demokratie zeigen. Gemeinsam mit seiner SPD-Ratsfraktion ruft der Oberbürgermeister die BürgerInnen um 18 Uhr auf den Platz vor der evangelischen Kirche. Auf einem Pappschild zeigt Schauer die Losung zum 9.November: „Keine Gewalt“. Damit meint er die Gewalt von rechts und auch die von links, aus der autonomen Szene.
Die historischen Daten der deutschen Geschichte sollen mit dem Marsch durch die Stadt verbunden werden. Die Pogromnacht von 1938 und die Öffnung der Mauer 1989. Am Ende der Demonstration, sagt Peter Schauer, werde er „hoch befriedigt sein, denn die Bevölkerung wird zeigen, daß sie zu ihrer Stadt steht“. Die Imageaufbesserung hat der Oberbürgermeister auch persönlich nötig. Knapp vier Wochen vor den Kommunalwahlen in Brandenburg sieht er sich als Opfer einer Medienkampagne, eingefädelt vom politischen Gegner. Nun will er „richtigstellen“ – gemeinsam mit der Bevölkerung von Schwedt. In der Vergangenheit ist die Stadtverwaltung einen umstrittenen Weg gegangen. Schauer und sein Jugendamtsleiter Burkhard Fleischmann haben sich auf einen Dialog mit der harten rechten Szene eingelassen. Die Stadtverwaltung stellte der „Sozialrevolutionären Arbeiterfront“, der Nachfolgeorganisation der verbotenen NF, einen Clubraum zur Verfügung. Das Jugendamt lud die Neonazis schriftlich zu runden Tischen. Peter Schauer diskutierte mit ihnen. Er wußte, daß er mit Vertretern einer verbotenen Organisation an einem Tisch sitzt.
Als Oberhaupt der Stadt meint er es sicher gut, wenn er sagt, man müsse mit allen reden, die dort wohnen. Er wirbt für einen Dialog mit rechten Jugendlichen, solange sie nicht zur Führungsriege der Organisationen zählen. „Damit wieder Ruhe und Ordnung einkehrt.“ Peter Schauer sagt, er kenne seine „Pappenheimer“, die harten Schlägernazis. Er nennt ein paar Namen. Die anderen – etwa zweihundert Mann zählt die rechte Szene – gehören für ihn zu den „Benachteiligten der Gesellschaft, die aus ganz schlechten Elternhäusern kommen und nicht wissen, wo sie hingehören“. Daß er mit dieser Erklärung die Gefühle derer verletzen kann, die von Rechten ins Koma geprügelt wurden, kommt dem Oberbürgermeister nicht in den Sinn.
Opfer gibt es viele in Schwedt und Umgebung. Allein für die ersten neun Monate dieses Jahres notiert der Polizeibericht 96 Taten mit rechtsextremistischem Hintergrund, das sind drei Viertel aller in Schwedt verübten Straftaten. Die Täter, sagt Ingo Heese vom zuständigen Polizeipräsidium Eberswalde, seien kein Problem. Die würden schnell ermittelt. Aber Zeugen trauen sich nicht, gegen sie auszusagen. Die Angst ist berechtigt. Die Rechten sind nicht nur gut organisiert, sondern auch bestens ausgerüstet. Volker K. (Name v. d. Red. geändert) hat dies zu spüren bekommen. Im Juni lief er mit auf einer Demo gegen Rechts durch Schwedt. Als er am Ende der Kundgebung sein Kopftuch vom Gesicht zieht, wird er von Rechten gefilmt.
Zwei Tage später warten gut 20 Schläger auf ihn nach dem Sportunterricht. Sie treten mit Stiefeln in sein Gesicht. Zwei Tage liegt er mit schwerer Gehirnerschütterung auf der Intensiv-, danach eine Woche auf der Unfallstation. Die diensthabenden Polizisten geben Volkers Eltern den Tip, statt Anzeige zu erstatten das Schiedsgericht anzurufen. Die Eltern beharren auf der Anzeige. Bis heute ist das Verfahren nicht an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden.
An den Wochenenden tun zusätzliche Bereitschaftspolizisten Dienst auf der Außenstelle in Schwedt. Polizeiverstärkung und Demoaufruf: Was nutzt es? Eine politische Debatte über Ursachen und Umgang mit Rechtsradikalen blieb bislang aus. Nicht nur in Schwedt. Auch Politiker in anderen Städten sehen die Taten rechtsradikaler Jugendlicher weniger als Ausdruck einer allgemeinen Aggression in der Bevölkerung. Immer werden einzelne Lebenswege ins Feld geführt. Noch heute heißt es etwa in Hoyerswerda, die Jugendlichen, die 1990 dort ein Pogrom initiierten, seien „unbeheimatete junge Menschen“.
„Fehlgeleitete“ sind sie für Peter Schauer, denen allen Hilfe angeboten werden müsse. Von solchen Erklärungen hält Volker wenig. Trotzdem wird er mit seinen Eltern zur Demo gehen. Auch, weil sie hören wollen, wie der Oberbürgermeister sein monatelanges Schweigen erklären wird.
Volker wird sich unbeirrt in der Antifa von Schwedt engagieren. Gemeinsam mit 20, 30 jungen Leuten will er über die Rechtsradikalen in der Stadt aufklären. Ihre Kampfschrift trägt den netten Namen Geierwally. Die letzte Ausgabe wurde in einer Augustnacht blitzschnell in die Briefkästen gesteckt, im Nu waren die 10.000 Exemplare vergriffen. Geierwally veröffentlicht nicht nur eine makaber gestaltete Todesanzeige für einen Rechtsradikalen, der im Suff von Kumpels überfahren wurde, sondern auch Analysen rechter Organisationen, inklusive der Privatadressen von Kadern.
Die Rechtsradikalen nehmen das Blatt nicht unwidersprochen hin. Ein rechter Erkennungstrupp photographiert Antifa-Mitglieder. Als Warnung kleben sie Spuckis an Briefkästen oder stellen stinkende Kartons vor Haustüren ab, randvoll gefüllt mit Scheiße, eingepackt in Geierwally-Exemplare. Einige Mitglieder der Antifa sind fortgezogen aus Schwedt. Aus Angst.
Noch will Volker die Schwedter Rechten beobachten und Geierwally verteilen. Im Petrochemischen Werk, wo Volker arbeitet, haben ihm die Kollegen Geierwally geradezu aus den Händen gerissen, photokopiert und weiterverteilt.
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