piwik no script img

Gute Geschäftsaussichten für Moskau

■ Der Besuch von Verteidigungsminister Gratschow in Peking wird weitere russische Waffenexporte für die Modernisierung von Chinas Streitkräften bringen

Berlin (taz) – Erstmals seit den Tagen der sowjetisch-chinesischen Waffenbrüderschaft im Zeichen des sozialistischen Weltsystems weilt ein (jetzt) russischer Verteidigungsminister in Peking. Pawel Gratschow wurde am Montag zu Beginn eines mehrtägigen Besuchs im Militärmuseum von seinem Kollegen Chi Haotian, 64 Jahre jung, empfangen, einem General, der zum innersten Führungskreis der chinesichen Kommunisten zählt. Gratschow erwidert den Besuch eines anderen ranghohen Militärs, des Politbüromitglieds Liu Huaqing vom Juli dieses Jahres in Moskau. Die eifrige Reisetätigkeit, deren bisheriger Höhepunkt Jelzins Staatsbesuch in Peking vom Dezember letzten Jahres war, dient einem besonderen Aspekt der russisch-chinesischen „Normalisierung“: dem Waffenhandel.

Die Grundvoraussetzungen für eine schwunghafte Entwicklung des Geschäfts sind auf beiden Seiten ideal. Von den drei Exportgütern, die Rußland gegenwärtig umstandslos liefern kann – Energie, Experten und Waffen – besteht für die beiden letztgenannten seitens Chinas dringender Bedarf. Zeitgleich zum Besuch Gratschows hat der chinesische Staats- und Parteichef Jiang Zemin der Voksbefreieungsarmee zwar das Zeugnis ausgestellt, der demokratischen Diktatur des Volkes ein zuverlässiger Stützpfeiler zu sein und außerdem durch umfängliche Produktion und Verkauf ziviler Güter den Staatshaushalt zu entlasten. Gleichzeitig mahnte er aber die Armeeführung, ihre eigentliche Aufgabe nicht aus den Augen zu verlieren – die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte.

Diesem Ziel diente bereits der Oktober 1992 mit Rußland abgeschlossene Vertrag über den Ankauf von 24 hochmodernen Suchoi-Jagdflugzeugen (SU 27) und den Transfer von Flugzeugtechnologie samt zugehörigen Experten (angeblich sind bislang 200 Techniker geleast). Insgesamt will China 75 dieser Flugzeuge erwerben. Verhandelt wird auch über weitreichende Radarsysteme, Boden- Luft-Raketen und, last not least, Jagdflugzeuge des Typs MiG 31.

Mit diesen Ankäufen, die allein 1,8 Milliarden Dollar ausmachen, will die VR China die Luftüberlegenheit im südchinesischen Meer gewinnen, die bislang Taiwan hält – dank der US-amerikanischen Flugzeugindustrie. Aber auch die Landstreitkräfte sollen mit dem sowjetischen Panzer T-72 am Modernisierungsschub profitieren.

Schließlich nimmt China auch Ramschware ab. Die Sowjetunion bietet rund 20.000 Panzer älterer Bauart zu Niedrigstpreisen an. Die chnesischen Aufkäufer staubten schon im Sommer letzten Jahres 2.000 Panzer des Typs T-62, Standardmodell der 70er Jahre, ab – zu nichtmilitärischen Zwecken. Es sei hier daran erinnert, daß mit Panzern dieser Bauart 1989 die Studentenrevolte auf dem Tiananmen niedergewalzt wurde.

Die VR China findet sich in der glücklichen Lage, ihre Rüstungskäufe in Rußland mit jenen Dollar bezahlen zu können, die sie als weltweiter Rüstungsexporteur vorher eingesackt hat. Mit einer selbst für diese Branche ungewöhnlichen Skrupellosigkeit lieferte China Waffen an aktuelle oder potentielle Kriegsgegner in der Dritten Welt. Während des ersten Golfkriegs wurde der Irak wie der Iran gleichmäßig aufgerüstet. Allein 1987 erzielte China nach Expertenschätzungen 1987 dadurch Gewinne von 6 Milliarden Dollar.

Wie die Rüstungskooperation mit Israel und mit Südafrika lehrt, verstand es die chinesische Führung, zwischen Geschäft und Politik säuberlich zu unterscheiden. Während konventionelle Waffenexporte Chinas nur rituelle Klagen der westlichen Konkurrenz hervorriefen, ging es zwischen der USA und China anläßlich chinesischer Raketen und Atomtechnologieexporte hart zur Sache. Mittlerweile ist China den diversen Non- Proliferationsabkommen beigetreten, was dem Gesamtumsatz zwar schadete, ihn aber nicht ernsthaft beeinträchtigte.

Der Sinologe Oskar Weggel kommt in einer neuen Studie zu der Schlußfolgerung, daß sich das weitverzweigte System der chinesischen Waffenexport- und -importfirmen, das im Dreieck von Volksbefreiungsarmee, regierungsgeleiteter Verteidigungsindustrie und Nationaler Kommission für Verteidigungstechnologie wuchert, der Kontrolle der zentralen Instanzen weitgehend entzogen hat. Nach Weggel hat sich eine eigene Schicht von Rüstungsmanagern, oft Sprößlinge hoher Militärs, herausgebildet, die an den Riesenprofiten der Branche parasitieren und einen auf Verständigung und internationale Stabilität orientierten chinesischen Regierungskurs unterlaufen. Die Aufnahme zahlreicher Militärs in den politischen Entscheidungsprozeß der VR China im Laufe dieses Jahres und Jiang Zemins jüngste Rede scheinen diese Überlegungen zu stützen. Auf alle Fälle dürften sie dem Staatsgast aus Rußland aus eigener Erfahrung nicht unbekannt sein. Christian Semler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen