130.000 Einwendungen für die Katz?

Grüne werfen Umweltsenator vor, trotz massenhafter Widersprüche den Flächennutzungsplan kaum geändert zu haben / Zeit war zu kurz / Jetzt soll der Senator die Planung stoppen  ■ Von Dirk Wildt

Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) soll 85.000 Berliner auf den Arm genommen haben. Denn der Senator habe die 130.000 Einwendungen, die diese Bürger gegen den Flächennutzungsplan (FNP) geltend gemacht haben, bei seinem neuen Entwurf kaum berücksichtigt, kritisierte gestern die Fraktion Bündnis 90/Grüne. Die Sprecher für Stadtplanung, Wolfgang Lehmann, und für Umwelt, Hartwig Berger, kennen den neuen Planungsentwurf noch gar nicht. Es sei aber „durchgesickert“, daß Hassemer bei der morgigen Vorstellung des neuen FNP nur von „marginalen Veränderungen“ berichten könne. Berger sprach von einer „stillen Post“ zwischen seiner Fraktion, Verwaltungsbeamten und Stadtplanern.

Die 85.000 Einwender haben dagegen tiefgreifende Veränderungen bei der Flächennutzungsplanung gefordert. Dies geht aus dem Abschlußbericht zur frühzeitigen Bürgerbeteiligung hervor, der der taz vorliegt. Die Widersprüche beziehen sich auf 2.000 verschiedene Flächen und Verkehrstrassen. 26.000 Einwendungen richteten sich gegen den Bau von Hauptstraßen und Autobahnen, in 19.000 Einwendungen wurde sich für die Umwidmung von Bauland für Kleingärten ausgesprochen, und in 8.000 Einwendungen wurde ein Verzicht auf geplante Müllverbrennungs- und -verwertungsanlagen gefordert. Fast drei Viertel aller Einwendungen wurden in sieben der insgesamt 23 Bezirke erhoben: Pankow, Reinickendorf, Weißensee, Tiergarten, Wilmersdorf, Charlottenburg und Treptow.

Auf einer Art Hitliste nimmt das in Pankow geplante Umwelt- und Recyclingzentrum mit rund 7.200 Einwendungen den ersten Platz ein. Auf Platz zwei: die Kolonie „Neue Heimat“ in Reinickendorf, die anstelle von neuen Wohnsiedlungen gefordert wird (6.500 Einwendungen). Platz drei besetzt die Nordtangente in Pankow (5.200 Einwendungen). Aber nicht zu örtlichen Planungen, sondern auch zu grundsätzlichen Fragen gab es Widerspruch. So verlangten 2.500 Bürger ein Abfallvermeidungskonzept. In 750 Einwendungen wurde gefordert, alle vorhandenen Grünflächen zu erhalten, in 500 Schreiben, den Grenzstreifen als Grünzug zu nutzen.

1.200 Bürger forderten, keine weiteren Straßen zu bauen. Einwände in gleicher Höhe gab es gegen die Eisenbahnplanung mit zentralem Bahnhof und Tiergartentunnel. Statt dessen wurde vorgeschlagen, den Eisenbahnring auszubauen. 2.200 Einwender waren gegen die Osttangente, die Marzahn über Köpenick mit Treptow verbinden soll. Über 2.700 Bürger lehnen die Verlängerung des in Westberlin vorhandenen Autobahnstadtrings durch die Ostbezirke ab. Gegen die Vervollständigung des Innenstadtrings waren 1.300, gegen den Ausbau der Bundesstraße 101 in Steglitz 1.000 und gegen die Südosttangente in Treptow über 500 Bürger. In der Regel werden die Projekte abgelehnt, weil durch sie der Lärm und die Luftverschmutzung zunähmen und die Wohnverhältnisse unerträglich würden. „Nur in wenigen Schreiben“, heißt es in dem Abschlußbericht, werde ein Stadtring als Autobahn gewünscht.

Die Bürgerinitiative Stadtring Süd (BISS) untermauert die Kritik der Grünen. Der Umweltsenator habe schon aus zeitlichen Gründen die 130.000 Einwendungen nicht würdigen können, sagte Thomas Pudelko. Die Auswertung der Widersprüche sei erst im September beendet worden, die wenigen Wochen bis jetzt seien ein zu kurzer Zeitraum, um den Entwurf des Flächennutzungsplanes wesentlich zu ändern.

Die Grünen forderten gestern deshalb, die Planung zu stoppen. Die Fraktion drängt ebenfalls darauf, daß der „Sonderausschuß FNP“, der nach dem Willen der Großen Koalition ab April kommenden Jahres eingerichtet werden soll, bereits im Januar seine Arbeit aufnimmt. Viel Hoffnungen haben Lehmann und Berger aber nicht. Da die Einwendungen juristisch nicht durchgesetzt werden können, werde sich an dem Entwurf wohl kaum etwas ändern, sagte der Stadtplanungs-Sprecher. Und Berger: „Es herrscht eine gewisse Ratlosigkeit.“