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Sensibles aus USA und China

■ Sidney Tillim und Ying Liang in der Galerie Vorsetzen

Sidney Tillim entspricht so gar nicht dem Bild des oberflächlichen Bohos Wolfescher Prägung, die den Künstler-Typus aus New York City zu charakterisieren scheint. Der 1925 in Brooklyn, N.Y., geborene Maler und Kritiker begann seinen Gang in die Kunstwelt als Laufbursche bei einer Zeitung und avancierte nach seinen universitären Studien zum Kunst-Kritiker für die bekanntesten Kunst-Zeitschriften der Welt: ARTS Magazine, ARTFORUM, ART in Amerika druckten seine Kritiken seit 1958. Von 1961 bis 63 und von 1964 bis 1973 unterrichtete er Malerei. Keine untypische Karriere amerikanischer Prägung: von der Kunstkritik zur Kunstgeschichte zur Kunst. Parallelen zu Donald Judds Lebensweg drängen sich auf.

Auch die Art seiner jüngsten Malereien von 1989 bis 1993 hat einen vergleichbaren Betrachtungs-Ausgangspunkt. Judd thematisiert die ins Rationale und Mathematische sich wendene Exaktheit und Sensibilisierung für feinste Nuancen und Veränderungen in der bildenden Kunst - ein Zug, der dem europäischen, „sentimentalen und melancholischen“, wie Tillim es beschreibt, entgegenläuft. Andererseits lassen sich die gezeigten „Imprints“ von Tillim durchaus in den anderen Kontext europäischer Malerei integrieren, wie sie seit Jahren in der eher politisch geprägten Kunst von Malern in der Galerie Vorsetzen gezeigt wird (Brehmer, Czeloth, Duchow, Jankowski, Lettner, Mitscher).

Der höchst sympathische, gebildete und humorvolle Künstler und Kritiker ist mit seinen 68 Jahren ein Beispiel für die Frische, die die Malerei besitzen kann, wenn sie aus der Gegenwart und ihren künstlerischen Bedingungen reflektiert wird. Die scheinbare „Peinture“ klassischer und edler Provenience soll den Betrachter produktiv irritieren, denn tatsächlich entsteht sie aus industriellen Din-Farben, die durch das Auflegen farbgetränkter Lappen auf die Leinwand konzeptuellen Zufall mit in die Malerei integrieren. So verwandelt sich bei der Überlagerung und Schichtung mehrerer Farb-Lappen ein Verschiebungs-Effekt, wie er von Warhol her bekannt ist: Die Frage ist nicht mehr die der Falschheit oder Echtheit des Kunstwerkes, sondern die nach der möglichen, immer schon vorhandenen Gefälschtheit von Welt, und dem, was sie als Original verkaufen möchte. Damit reflektiert Tillim auch konstruktiv die Wirklichkeit von Werbung und Fernsehen, denn in seiner Formulierung „wird lediglich (aber folgenschwer) realisiert, daß wir den modernen Technologien eine veränderte Sensibilität verdanken“, wie Katalog-Autor Uli Bohnen schreibt. In der drucktechnisch arrangierten Reihung, die an zum Trocknen aufgehängte Schweißtücher erinnern, kommt gleichsam Tillims von jugendlicher Frische und Altersweisheit getragenes Programm zur Geltung: eine Verbindung herzustellen zwischen dem amerikanischen, abstrakten Expressionismus, dem europäischen Zug zur sentimentalen Meistermalerei und der global gültigen Pop-Art-Sensibilität.

Der Lichtschacht, ein Lieblingskind der Galerie, der zu jeder Ausstellung neu bespielt wird, hält das internationale Niveau der Haupt-Ausstellung: Die chinesische Künstlerin Ying Liang, die in Hamburg an der HfBK studierte, zeigt mit ihrer Verbindung von hoch-qualifizierter, der chinesisichen Tradition entstammender Tusch-Malerei, und der Welttrend geprägten Verbindung zu überraschenden, ungewohnte Blicke lenkenden, Installation eine hochsensible Arbeit. Die Thematisierung des Lichtschachtes wird hundertprozentig erfüllt: Die Höhe des Raumes, die Licht-Einbrüche, die Verlorenheit und Bedrohung des Betrachters, die Raster-Blicke auf Moderne prägende Planquadrate, die begrenzte Bewegung im unteren Bereich des Schachtes und die scheinbare, luftige Freiheit im oberen Bereich, werden mit Geschichten und Gefühlen erzählenden Fahnen-Bildern austariert. Zu Beginn des heißen Kunst-Herbstes eine gelungene Einstimmung.Gunnar F. Gerlach

Galerie Vorsetzen, bis 8. 12.

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