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Radikalfeministische Jonglage

Brave Old World, Klezmatics und tausend tolle Gäste wie Sarah Felder, Alan Kaufman, Allen Ginsberg und Paul Magid in den nächsten beiden Wochen während der 7. Jüdischen Kulturtage /  ■ Von Andreas Becker

Eigentlich hätte John Zorn seine aktuelle Produktion „Kristallnacht“ am 9. November aufführen sollen. Aber nicht nur weil dieser Tag inzwischen zum deutschen Multifunktionsgedenktag mutierte – unter dem allseits beliebten Motto: warum an Pogrome denken, wenn man auch den Fall der Mauer abfeiern kann –, sondern einfach aus organisatorischen Gründen. John Zorn, der Brachialsaxophonist aus New York, hätte den Festsaal der Jüdischen Gemeinde in ein musikalisches Schlachthaus verwandelt. Eines seiner Bandprojekte nennt sich nicht zufällig: „Torture Garden“. Zorns Auftritt wäre für viele, gerade ältere Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, sicherlich eine Provokation gewesen. Aber eben auch ein Fanal, das man nicht „vergessen“ kann. So spricht am 9. November eben Eberhard Diepgen.

Statt der Jüdischen Gemeinde den Zorn ins Gesicht zu treiben, hat man sich für den musikalischen Teil der 7. Jüdischen Kulturtage für eine Musik entschieden, die nicht schroff und scharfkantig ist wie ein Abrißbagger, sondern die sich einschmeichelt: Klezmer. Diese Musik, entwickelt aus Volksmusik- Traditionen der osteuropäischen Juden, ist nicht gerade provozierend. Und sie birgt die Gefahr in sich, als „typisch“ jüdische Musik mißverstanden zu werden.

„Es gibt so etwas wie jüdische Musik sozusagen nicht, genausowenig wie eine jüdische Identität“, sagt Tsafrir Cohen, Organisator der Kulturtage. „Wir machen kein Klezmer-Festival.“ Trotzdem aber spielen die zwei weltweit wohl renommiertesten Klezmer-Bands: Brave Old World (manchmal auch „New“, die Band kann sich nach eigener Aussage nicht recht entscheiden) und die Klezmatics. Beide Gruppen haben besonders enge Verbindungen nach Berlin, einige Mitglieder leben teilweise hier. Die Klezmatics wurden quasi für die ersten „Heimatklänge“ 1988 in Berlin erfunden. Inzwischen sind sie in den USA regelrechte Klezmer- Stars und in den Charts. In deutschen Plattenläden findet man sie, wenn überhaupt, unter „Weltmusik“.

Für die diesjährigen Kulturtage wird sich das Jüdische Gemeindehaus in einen American Ballroom verwandeln. „Die Leute werden sich hoffentlich betrinken und viel Spaß haben.“ Roter Plüsch, rot- blaue Stoffbahnen an der Decke, Theaterlicht und eine schwarz-silberne Bar, an der das alte Dschungel-Team Cocktails mixt, dekorieren zwei Wochen lang den im Moment noch schmucklosen Mehrzwecksaal. Im Ballroom wird es sogar Bedienung an den Tischen geben. Er soll nicht nur als Veranstaltungsort dienen für Konzerte, Lesungen und Performance, sondern als Treffpunkt.

Wie es sich für einen American Ballroom gehört, hat man für jeweils eine Woche eine Hausband engagiert. Ab kommenden Sonntag gehört der Ballroom dann bis Donnerstag Brave Old World. In der Woche darauf den Klezmatics. Die Schirmherrschaft trägt, wie könnte es anders sein, die Berliner Firma Piranha, Monopolist in Sachen Heimat&Weltmusik. Und wie zum Beweis, daß immer alles irgendwie personell zusammenhängt, wird der Ballroom von Mabel vom Tempodrom eingerichtet.

Der eigentliche Witz an der Ballroom-Idee ist, daß die Bands selbst sich wiederum Gäste einladen können. Von diesem Recht haben sie denn auch reichlich Gebrauch gemacht. So werden wir, nur mal als Spitze des Eisbergs erwähnt, den 1926 in Paterson, New Jersey, geborenen Schriftsteller Allen Ginsberg als Schlagzeuger erleben können. Am 21. November wird der große alte Herr der Beat Generation zunächst eine Lesung bestreiten, um dann zwei drei Stunden später bei den Klezmatics einzusteigen. Dann im Programm: The Sign – Virelai für Stimme und Salonorchester nach Texten aus The Fall Of America von Allen Ginsberg. Ein Wunder, daß nicht auch noch William S. Burroughs mitsingt (Anspieltip: Material: „Seven Souls“, von 1989). Sonst noch Wünsche offen?

O.k., es gibt noch mehr, viel mehr. Zurück zur ersten Woche mit Brave Old World. Auf der Gästeliste: Dichter, Sängerinnen und Jongleure. Zum Beispiel der „junge“ Alan Kaufmann, einer der Protagonisten der „Underground Spoken-Poetry Scene“ in New York und San Francisco, zu dessen Lesungen in den USA rekordverdächtige 300 bis 500 Leute kommen, um bis zu fünf Stunden dazubleiben, sagt Tsafrir Cohen, und: „Das können wir uns mit gewissen Lesungen von Goethe-Gedichten gar nicht vorstellen.“

Weiter zu Gast bei Brave Old World, und zwar jeden Abend: Michael Wex, Sara Felder und Susanne Jensen. Michael Wex wird den Conférencier spielen und etwa zwanzig Minuten lang den jiddischen Storyteller. Er ist ein Comedy-Man, der seinen Witz aus dem Zusammenprall von jüdischer Tradition und moderner amerikanischer Popkultur bezieht. Auch mit durchschnittlichem deutschen Schulenglisch wird man das meiste verstehen können. Außerdem stammen aus Wex' Feder die Texte des Musiktheaters Chelm, California, das in der zweiten Woche von den Klezmatics aufgeführt wird.

Die Sängerin Susanne Jansen kennen viele Berliner aus der „Ghetto“-Aufführung im Maxim Gorki Theater, dessen Musik – wo es hier doch schon ständig um Querverweise geht, sei das auch noch erwähnt – Alan Bern von Brave Old World komponiert hat.

Die vielleicht spannendste Frau unter den „Brave Old World“-Gästen aber scheint mir Sara Felder zu sein. Sie gilt als „jonglierende Erzählkünstlerin“, die mit Bällen und Worten um sich wirft, die vor allem die Männergesellschaft treffen sollen. Jede Keule ein Schlag ins Gesicht des Patriarchats. „Eine radikal-feministisch-lesbische Jongleurin, die ist wahnsinnig toll“ (Cohen).

Die Aufzählerei von Namen langweilt langsam, aber zwei müssen einfach noch erwähnt werden. Denn auch die Klezmatics haben sich eigentümlicherweise einen Jongleur engagiert. Es ist Paul Magid von den „weltberühmten“ Karamazov Brothers, der das Musical Chelm mit Akrobatik und Jonglage anreichern wird. Cora Frost wird Ginsburg-Texte singen.

Tsafrir Cohen, der bekennt, persönlich nicht gerade ein Klezmer- Fan zu sein, hofft mit den diversen Gästen der beiden Bands die Traditionsschiene effektiv einzureißen. Am liebsten hätte er noch eine jüdische HipHop-Band und obendrein Lou Reed eingeladen.

Auch wenn die alle in diesem Jahr noch nicht kommen, so ist doch erkennbar, daß die 7. Jüdischen Kulturtage einen Bruch mit der eigenen Tradition versuchen. Ob Heinz Galinski sich in einem pompösen Ballroom einen hinter die Binde gekippt oder anderen dies wenigstens erlaubt hätte, darf bezweifelt werden. Cohen hat das Glück, seine Kritiker in der Jüdischen Gemeinde mit dem Verweis auf Korrespondentenberichte in namhaften europäischen und vor allem amerikanischen Blättern ruhigstellen zu können. Sogar die New Yorker Stadtzeitung Village Voice schickt einen eigenen Beobachter vor Ort.

Diese Stadt kann sich glücklich schätzen, ein Festival vor sich zu haben, das so viele amerikanische Künstler in zwei Wochen präsentiert, wie es in den USA wohl kaum möglich wäre. Diese Künstler werden Leute in die Jüdische Gemeinde locken, die vorher noch nie dort waren.

So. 14.11. bis Do. 18.11., jeweils 21.30 Uhr im Ballroom der Jüdischen Gemeinde: Brave Old World, u.a. mit Sara Felder, Susanne Jansen, Michael Wex, Alan Kaufman. Von So. 21.11. bis Do. 25.11.: The Klezmatics mit dem Musical Chelm, California. Gäste: Allen Ginsberg, Cora Frost, Norbert Stammberger, Turgay Ayaydinli, Paul Magid, u.v.a. Genaue Termine im 62-Seiten-Programmheft der 7. Jüdischen Kulturtage.

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