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Tantra der Bücherliebe

Wanderungen durch die Berliner Antiquariatslandschaft oder Glück und Elend eines Bibliophilen  ■ Von Dirk Nümann

„Wenn es Sie nicht interessiert“, sagte Herr K. und wollte das gezeigte Buch schon wieder verschwinden lassen, „nehme ich es gern zurück.“ Dabei strich er sanft über den etwas fleckigen Rücken, pustete zart den Staub vom Buchschnitt, öffnete den Deckel wie eine Schatztruhe und ließ den Titel erscheinen: „Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde“ stand da in verschnörkelten Lettern. „Mit 4 lithographischen Zeichnungen“. Und darunter, kleingedruckt: „Neue Ausgabe, 1846“. Keine Frage, das interessierte mich. Das mußte ich haben. Endlich bekam ich den Band zu fassen. Ich roch daran, zahlte hastig und ging befriedigt und glücklich nach Hause.

Nicht immer endet die Jagd nach Büchern so erfolgreich. Wie häufig mußte ich K.s Antiquariat (Wegner) in der Martin-Luther-Straße schon mit leeren Händen verlassen. Und stahl mich dann in den Bücherkeller um die Ecke (auch nichts), um schließlich bei Dr.Scheffers im Fontane-Antiquariat zu landen: wieder nichts. Dort erwarb ich dann einmal trotzdem „Laubes Meisterdramen“. Nur um meine Verzweiflung zu mindern. Kein Glück in der Liebe...

... in der Liebe zum Buch, der Bibliophilie. Sie ist die Voraussetzung und Erfüllung des Antiquariatshandels. Nicht selten führt sie allerdings zur Bibliomanie, zum krankhaften Bücherwahn, ins Verderben und den sicheren Ruin. Früher soll übrigens die Bibliophragie, das Bücheressen keine seltene Leidenschaft gewesen sein. Die gesunde Liebe jedoch, die Bibliophilie, eint den Antiquariatshändler mit dem Käufer. Sie setzt dem Nützlichkeitsdenken dieser Tage die romantische Passion entgegen. Trotz Taschenbüchern und Bibliotheken, trotz Copyshops und Mikrofiche-Ausgaben werden Bücher gekauft und geliebt: Weil sie illustriert und alt, selten und schön, weil sie Kunstwerke sind.

Dieser Leidenschaft kann man in Berlin scheinbar unbegrenzt frönen. Allein 120 Antiquariate sind verzeichnet. Natürlich sind nicht alle dieser 120 Räume auch mit herrlichen Büchern angefüllt. Wer zum Beispiel durch das Viertel am Nollendorfplatz spaziert, bei Hennig hereinschaut oder Herrn Ihring guten Tag sagt, findet häufig nur Bühnenringausgaben von Kleist, Lessing, Lichtenberg, die dicke Kunstgeschichte von Hamann für 20 Mark oder bestenfalls einige Erstausgaben, wie Döblins „Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende“. – Lieber nach Charlottenburg. Vorher sollte man allerdings bei der Bank vorbei gehen. Bei Düwal, wo man unter den mißtrauischen Augen des Personals das eine oder andere Buch in die Hände nehmen darf, könnte man mit Glück schon mal Mynonas Groteske „Rosa, die schöne Schutzmannsfrau“ bekommen. Oder vielleicht ist ja auch noch ein frühes Werk mit Grosz-Illustrationen vorhanden. Eine durchschnittliche Monatsmiete würde das allerdings schon kosten.

Aber natürlich ist dieser Kauf – sehr gutes Geld gegen gutes Buch – etwas verpönt, sozusagen unsportlich (Angeln mit Netz!), bringt auch keine Erfüllung, weil es gegen die Regeln des Tantra der Bücherliebe verstößt. Dazu gehört nämlich das tastende, stöbernde, das beharrliche Suchen nach dem preis-werten Buch. Am besten klappert man allwöchentlich sein Spezialantiquariat ab: und schaut sich zweiwöchentlich woanders um. Irgendwann findet sich jeder Titel. Wer sammelt frühe sozialistische Duckschriften? Im Kreuzberger „Anti-Quariat“ könnten sie liegen. Wer giert nach Alchemie? Vertrauen Sie sich Herrn Schikowski an. Haben Sie eine Schwäche fürs Feuilleton? Dann sind sie im Wedding bei Jeske richtig. Wollen Sie Geographie – dann zu „Kiepert, Kunst“ oder Ahnert, vielleicht auch zu Skowronska. DDR- Literatur? Dann zu Frau Güntherode in die Wilhelm-Pieck-Straße.

Nur durch Streifzüge, Patrouillengänge, Hamsterfahrten lernt man Bücher und unweigerlich auch die Menschen zwischen den Büchern kennen. Schließlich ist Antiquar kein Beruf, sondern eine Berufung – sagen manche Antiquare. Insgeheim plagt oder beglückt sie nämlich die gleiche Obsession wie ihre Kunden. Und deswegen erzählen sie gerne auch die Geschichte des Buches (das Theaterlexikon stammt übrigens von einem alten Schauspieler, sagte mir Herr K.) und sind auch nicht übellaunig, wenn jemand, der ihnen gestern ein Buch verkaufte, es heute gehetzt zurückverlangt und sagt, ohne diesen Titel könne er nicht eine Nacht länger leben. Im besten Fall herscht zwischen Händler und Sammler eine Art Liaison. Im schlimmsten Fall neidische Kabale, ja sogar Feindschaft. Wer etwa meint, bei dem Musikspezialisten Hartwig feilschen zu können, hat schon jede Chance auf den Erwerb des begehrten Objekts vertan, selbst wenn er irgendwann das Doppelte böte.

Spätestens hier hätte mich wahrscheinlich der eine oder andere Antiquar unterbrochen, mir vorgeworfen, ich romantisiere oder dämonisiere den Beruf zu sehr, mache aus ihnen ein Spitzweg-Klischee: lauter Bücherkäuze. Sie seien vielmehr zuerst Händler, die am Computer arbeiteten, auch mit modernen Restauflagen der Verlage sowie wissenschaftlicher Literatur Geschäfte machten, Kataloge erstellten. Außerdem seien sie jung und wahrscheinlich auch dynamisch, hätten vorher mit Autos gehandelt; zudem sammelten sie heimlich Telefonkarten. – Das alles mag stimmen. So kann sie aussehen, die dunkle Seite des Metiers. Aber genauso wahr ist die von Flaubert übermittelte Geschichte vom Buchhändler Giacomo, der aus Leidenschaft für Bücher erst Gott, sein Geld und schließlich seine Seele aufgibt. Das ist die andere Seite des Berufs – die ist mir nun mal sympathischer.

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