: Die Kraft, die aus dem Kreuze kommt
■ Eine Berlinerin entwickelte die Schwingungsmassage / Säuglinge und Soldaten gaben Maria Kiliani Anstöße, ihren eigenen Massagestil zu entwickeln / Verschiedene Körperpartien korrespondieren
Maria Kiliani wollte Tänzerin werden. „Doch leider mangelte es mir an dem notwendigen rhythmischen Empfinden“, sagt sie, die inzwischen mit 90 Jahren eine alte Dame ist. Die Enttäuschung darüber habe sie nie verwunden. Statt zu tanzen, begann sie eine Ausbildung an der Münchener Günther- Schule in Gymnastik, Massage und Orthopädie.
Die Tochter einer Schwedin und eines deutschen Diplomaten wechselte nach Schloß Salem am Bodensee. Wieder an die Günther- Schule zurückgekehrt, unterrichtete sie die Gymnastik der damaligen Mansendieck-Schule. Doch die junge Gymnastiklehrerin fühlte sich dabei nicht wohl. Sie empfand diese Art der Körperdehnung als zu starr. Maria Kiliani lehnte sie innerlich ab; sie wurde regelrecht krank davon.
Die junge Frau begab sich in therapeutische Behandlung. Ihr Arzt versuchte, den blockierten Atemstrom zu befreien, indem er ihr Nadeln ins Zwerchfell stach. Mit Erfolg zwar, jedoch denkt Kiliani heute noch mit Schrecken an die qualvollen Schmerzen, die ihr die Nadeln bereiteten. Sie wollte schon damals nicht einsehen, daß die inneren Verhärtungen eines Menschen nur gewaltsam aufgebrochen werden können. „Ich fühlte, es muß noch einen anderen organischen Weg zu Lösung und Entspannung geben.“
Die nächsten Erfahrungen machte Maria Kiliani, nach Berlin gekommen, als Säuglingsschwester. Von den Reaktionen der Kleinkinder und ihrer noch reinen menschlichen Natur hat sie viel gelernt. So sieht sie es im nachhinein. „Ich habe ihnen einfach abgeguckt, wie sie sich verhielten, wenn man sie liegen ließ, wie sie Berührungen aufnahmen und übertrugen.“ Die Entwicklung einer eigenen neuen Heilmethode nahm ihren Anfang. Beeinflußt hat sie, so denkt die Frau, auch die Atmosphäre und der Urwuchs der Lebensformen in Hinterindien und Australien. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr hatte Kiliani als Mädchen in Singapur und Sydney gelebt. Es fiel ihr schwer, diese Hemisphäre zu verlassen; aber bei Kriegsausbruch 1914 hatte sie mit ihrer Familie nach Berlin übersiedeln müssen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Maria Kiliani als Rot-Kreuz- Schwester verpflichtet. Sie mußte Schwerverwundete im Reserve- Lazarett in Potsdam pflegen. Die Gymnastiklehrerin versuchte, die Schmerzen der Verletzten zu lindern, indem sie von sich aus massierte. Sie hatte Erfolg, wurde als Masseurin an ein Berliner Massageinstitut berufen und formte dort aus ihren positiven Erfahrungen die Grundmotive ihrer besonderen Behandlungsart: Schmerzfrei und ursprünglich sollte sie sein. Verkrampfungen sollten gelöst, Barrieren, falsche Spannungen, Trägheiten abgebaut werden. Maria Kiliani wollte das Unbewußte, Unwillkürliche aktivieren.
Die Akzeptanz sprach für sich. Maria Kiliani gründete eine Heilmassagepraxis in ihrem eigenen Haus. Zusammen mit den PatientInnen, die zu ihr in den Zehlendorfer Holstweg fanden, entwickelte sie schließlich die Schwingungsmassage: „Loslassen – entspannen – schwingen“ sind die zentralen Leitgedanken ihrer Methode. Ziel ist es, den Menschen als Ganzes in Schwingung zu versetzen.
Der menschliche Organismus soll zu einer Einheit verbunden werden. „Schwingungsmassage ist für mich der Versuch, alles auszunutzen, was es an Bewegungsmöglichkeiten im Körper gibt“, drückt sie es selbst aus. Durch kreisende Bewegungen der aufgelegten Hände werden die Körperteile in Schwingung gebracht, gelockert, entkrampft und dazu gebracht, mit anderen Körperteilen zu korrespondieren. Dabei vertieft sich der Atem der PatientInnen automatisch und erweitert seinen Raum über das Sonnengeflecht bis zum Kreuz, dem „Zentrum der Urkraft“, wie Maria Kiliani es nennt.
Um diesen Umpolungsprozeß vom Kopf zum Becken, vom Bewußten zum Unbewußten in Gang zu setzen, werden diejenigen Muskeln und Gelenke, die eine physiologische Einheit bilden, wechselweise zueinander und auseinander bewegt. Angefangen bei den Fingerspitzen über Arme, Nacken und Kopf, Brustbein und Rücken bis zu den Zehen werden ununterbrochen Kreise gezogen und die „Geheimnisse“ der Anatomie erspürt.
„Die Intensität des Kreisens darf auf keinen Fall nur aus den Armen genommen werden. Das wäre zu ermüdend“, meint die rüstige 90erin. „Deshalb stemme ich mich immer mit den Füßen vom Boden ab und schöpfe die Kraft aus meiner ganzen Person.“
Maria Kiliani versteht ihre Behandlungsmethode als ein Wechselspiel des Gebens und Nehmens; es ist ihr sehr wichtig, daß auf das individuelle Empfinden der PatientInnen eingangen wird: „Manchmal habe ich dann eben nur über die Haut gehaucht.“ Ihre Schützlinge sollen sich aktiv an der Massage beteiligen. Zusammen mit ihnen entwickelte sie Liegepositionen, die von der Embryonallage über „Fisch“, „Krokodil“ und „Hase“ Evolution durchleben lassen und den Verlauf der Evolutionsgeschichte hin zum aufrecht gehenden Menschen symbolisieren. Auch die Schwingungsmassage leitet zur Aufrichtung über: In der Vierfüßlerstellung wird zu selbständigem Üben aufgefordert.
Jede Behandlung will erreichen, daß die PatientInnen ihre inneren Hemmnisse loslassen. Durch Gespräche über Träume und bildhafte Vorstellungen versuchte die Erfinderin der Schwingungsmassage den gegenseitigen emotionalen Austausch zu fördern. „Ich weiß, daß ich Ausstrahlung habe“, witzelt sie voller Schalk.
Ihr wurde die Schwingungsmassage und die Nähe zu ihren PatientInnen zum Lebensinhalt. Sie lebte mit ihnen, eigentlich nur für sie. Nach dem Tod ihrer Eltern ist sie allein geblieben. Tag für Tag massierte sie stundenlang. „Ich bin meinem eigenen Bedürfnis nachgegangen, den Körper zu berühren, das war für mich selbst gut, ich habe mich ermüdet und besser geschlafen.“
Maria Kiliani hatte, bis sie vor vier Jahren zu praktizieren aufhörte, beständigen Zulauf — obwohl ihr Massagestil, ihre neue Heilmassage durch keine Werbekampagne an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Heute lebt sie ohne alle verwandtschaftliche Bindung in einem Pflegehospital. Trotz aller körperlichen Schwächen würde sie am liebsten wieder massieren. Allein die Erinnerung, so scheint es, weckt in ihr auch jetzt wieder Energie.
Wie wird die Schwingungsmassage weiterleben? Ohne Maria Kiliani? „Ich hatte einige Schülerinnen. Durchweg Frauen, wie auch meine Patienten überwiegend weiblich gewesen sind.“ Silvia Plahl
Die Schwingungsmassage wird bei den Gesundheitstagen von einer der Schülerinnen Maria Kilianis vorgestellt. Freitag, 18.30 Uhr.
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