Promotion-Tour für Exportwirtschaft

■ Kohl will deutschen Anteil an Chinas Wirtschaftsboom sichern / Für Unternehmen winken lukrative Aufträge / In Peking gründen Mitglieder der Demokratiebewegung die „Charta des Friedens“

Berlin/Peking (taz/AFP) – Für seine China-Reise hat sich Helmut Kohl viel vorgenommen. Auch die Chinesen sollen nun ganz genau erfahren, was ihnen zum schönen Leben noch fehlt. Teure Autos zum Beispiel, schnelle U-Bahnen, moderne Hochöfen und Versicherungspakete. Mit seiner dritten Visite im Land der „sozialistischen Marktwirtschaft“ will der Kanzler das abrunden, was unzählige Delegationen hochrangiger Manager in den vergangenen Monaten bereits vorbereitet haben: Nämlich die notleidende deutsche Industrie mit neuen Exportaufträgen aus China zu versorgen.

Bei dem fünftägigen Aufenthalt sollen, so der Plan, die Koffer mit Verträgen vollgepackt werden. So haben sich dem Bonner Kabinettschef neben vier Ministern nicht weniger als 35 Wirtschaftsvertreter angeschlossen. Allianz, BMW, Daimler-Benz, die Deutsche Bank, Siemens, die Deutsche Waggonbau – alles ist vertreten, was hierzulande gut und teuer ist.

Der Anlaß für den China-Tourismus ist simpel: Während das wiedervereinigte Deutschland ökonomisch ins Schlingern geriet, wurde China vom Goldrausch erfaßt. Bereits im Ende Oktober vorgelegten Asien-Konzept hat die Bundesregierung ihre Marschrichtung aufgezeigt: Nur etwa 10 Prozent der Exporte gehen in die dynamischste Wachstumsregion der Welt, bei den Auslandsinvestitionen rangiert der Kontinent mit fünf Prozent unter ferner Liefen. Lauter nette Ideen – doch Wirtschaftsexperten warnen vor kurzen Ausflügen in das Reich der roten Mandarine: „Rückschläge“ wie das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 seien auch in Zukunft nicht auszuschließen.

„Die politische und wirtschaftliche Lage ist stabil, die Gesellschaft ruhig, die Entwicklung schnell, die Perspektiven glänzend“, wirbt dagegen Zhang Peiji, chinesischer Botschaftsrat für Handel in Bonn. Der Nachholbedarf der Chinesen spreche für sich, sagen auch die Wirtschaftsvertreter. Selbst die Zahlen belegen, daß die deutsche Industrie trotz des geringen China- Engagements vom dortigen Wirtschaftsboom profitiert: Im vergangenen Jahr kletterte der Export um gut 40 Prozent auf 5,7 Milliarden – bei einem Handelsvolumen von rund 17 Milliarden Mark.

Zwar klagen die ostasiatischen Partner über die hohen Preise ihres größten europäischen Handelspartners. Doch das Handelsdefizit verkleinert sich zusehens: Allein von Januar bis Juli wuchsen die deutschen Ausfuhren um 85 Prozent. Geliefert werden bisher vor allem Maschinen, Anlagen sowie Autos und Elektrotechnik. Bei den Chinesen stehen daneben medizinische Geräte, Kabel, eine größere Anzahl von Schiffen, mehrere Airbusse, zwei Wärmekraftwerke sowie Kühl- und Personenwaggons auf dem Wunschzettel – alles natürlich zu konkurrenzfähigen Weltmarktpreisen, versteht sich. Oder, wie nicht selten insgeheim praktiziert, über versteckte Exportsubventionen. Daß Kohl und seine Wirtschaftsfreunde nicht ohne lukratives Auftragspolster zurück müssen, das hat Ministerpräsident Li Peng bereits angedeutet. Eines der Großprojekte, um die es sich dreht, ist die U-Bahn in Kanton. Siemens kann sich gute Chancen auf das 700-Millionen- Mark-Vorhaben ausrechnen – schließlich hat das Bonner Entwicklungsministerium noch mit einer Verpflichtungsermächtigung von 350 Millionen Mark für die Chinesen nachgeholfen.

Zwar wird die deutsche Delegation diesmal sicherlich die Menschenrechte zur Sprache bringen. Das Thema soll heute beim Treffen von Kohl mit Li Peng fallen – pikanterweise, nachdem er vor der Großen Halle des Volkes eine Ehrenformation des Militärs abgeschritten hat, das an gleicher Stelle vor vier Jahren ein Blutbad anrichtete. Die chinesische Seite wird vermutlich entgegnen, was sie in solchen Fällen immer erklärt: Daß die Unterschiede in der Betrachtung der Menschenrechte zwischen den Entwicklungsländern und den Industriestaaten ganz natürlich seien. Nach dieser Pflichtübung kann man sich dann den Geschäften zuwenden.

Neun Mitglieder der Demokratiebewegung haben gestern in Peking die „Charta des Friedens“ gegründet, um eine landesweite Kampagne für politische Reformen einzuleiten. Wenn die Kommunistische Partei den unausweichlichen Weg zur Mehrparteien-Demokratie nicht beschreite, müsse sie auf einen gewaltsamen Wandel vorbereitet sein, heißt es im Entwurf. Die Entwicklung zur Demokratie sei eine „historische Notwendigkeit“, die nicht aufgehalten werden könne. Zugleich erkannten die Dissidenten an, die Kommunistische Partei sei die einzige Autorität, die den „friedlichen Wandel“ gewährleisten könne. Die Führung wurde aufgerufen, Demonstrationsrechte, Streikrechte und Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Darüber hinaus solle sie sämtliche politischen Gefangenen freilassen und sich für die Niederschlagung der Demokratie-Bewegung entschuldigen. es