: Weniger Konsum und mehr Zeit für Kinder
■ Interview mit Fritz Kuhn zur Diskussion um Arbeitszeitverkürzung und Viertagewoche
Fritz Kuhn ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Grüne im Baden-Württemberger Landtag.
taz: Der Vorschlag von VW, die Viertagewoche einzuführen, hat Bewegung in die Frage der Arbeitsumverteilung gebracht. Kann durch kürzere Arbeitszeiten mehr Beschäftigung erreicht werden?
Fritz Kuhn: Ich halte Arbeitszeitverkürzungen für einen sinnvollen Weg, eine gerechtere Verteilung von Beschäftigung zu erlangen. Die Debatte um die Viertagewoche muß sich jetzt aber öffnen. Vielfältige Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung und Flexibilisierung sollten diskutiert werden. Dazu gehört eine breite Palette von Arbeitszeitmodellen, eine Öffnung nicht nur für Halbtagsjobs, sondern auch für Zweidrittel-, für Dreivierteljobs, für vielfältige Möglichkeiten der Teilzeitarbeit. Die Möglichkeiten freiwilliger Vereinbarungen in den Betrieben über die Manteltarifverträge müssen erweitert werden.
Zumeist wollen Arbeitnehmer nicht auf Lohn verzichten, wenn es um kürzere Arbeitszeiten geht. Welche Möglichkeiten der Finanzierung halten Sie für realistisch?
Diese Art der Arbeitszeitverkürzung kann nur Arbeitsplätze schaffen, wenn das auch mit einer Lohnminderung einhergeht. Ich meine jetzt bei der Viertagewoche nicht einen vollständigen Lohnverzicht, aber es muß klar sein, daß die Beschäftigten da auch auf Einkommen verzichten müssen. Sonst wird das Ziel – Sicherung von Arbeitsplätzen beziehungsweise Neueinstellungen – logischerweise nicht erreicht.
Die Gewerkschaften argumentieren aber, daß gerade für die, die eher wenig verdienen, ein Lohnverzicht schwer zu verkraften wäre.
Dieser Punkt der sozialen Gerechtigkeit wird zuwenig diskutiert. Es ist klar, daß bestimmte Lohngruppen eher auf Einkommen verzichten können als andere. Wichtig ist, daß die Tarifpolitik der Sockelbeträge hier ein Instrument hat, diese Unterschiede auszugleichen. Man kann sagen, wir machen eine Tarifpolitik, die jetzt über einige Jahre hohe Sockelbeträge den ausschließlich linearen Lohnerhöhungen vorzieht, so daß da ein bißchen Aufrücken der unteren Einkommensgruppen möglich ist.
Welchen Anteil an der Arbeitszeitverkürzung sollen die Unternehmen tragen?
Ich meine, einen Teilverzicht müssen die Beschäftigten machen, ich glaube, das wird mehr als die Hälfte sein, und einen anderen Teil werden die Betriebe einbringen müssen. Die Betriebe können mit diesen Modellen, wenn es intelligente Viertagewochen sind, die Produktivität massiv erhöhen. Die Betriebe können dann somit das, was sie an Lohnausgleich zahlen, gegen die Steigerung der Produktivität gewissermaßen aufrechnen.
Bei VW und der IG Metall wird nach Subventionierung der kürzeren Arbeitszeiten gerufen, nach staatlicher Hilfe. Halten Sie das für sinnvoll?
Ich bin skeptisch, die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit damit allzusehr zu belasten. Wenn ich zum Beispiel sagen würde, von den 20 Prozent der erforderlichen Kostensenkung bei VW werden zehn Prozent durch Lohnverzicht erbracht, fünf Prozent von den Unternehmern und fünf Prozent von der Bundesanstalt, dann stellt sich doch die Frage: Kriegt man einen solchen Zuschuß irgendwann mal wieder los? Da bin ich im Zweifel. Aber man muß natürlich darüber reden, ob und wie die Bundesanstalt beteiligt werden könnte.
Sie rufen nicht nach mehr Staat, sondern appellieren an die gesellschaftliche Solidarität zwischen Unternehmern, Beschäftigten und Erwerbslosen?
Ich meine, die einfachste Regelung wäre ein Verzicht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugunsten der Arbeitslosen. Mir wird das alles zu sehr unter dem Aspekt „Ich verzichte auf mein Geld“ diskutiert. Der Lohnverzicht, soweit er kommen muß, ist tatsächlich der Solidaritätsbeitrag derer, die Arbeit haben, mit denen, die keine haben. Das ist eine Frage der sozialen Reife dieser Gesellschaft.
Da wirken die Beteiligten aber noch sehr unreif. Die Arbeitnehmer beispielsweise wollen nicht auf ein paar hundert Mark im Monat, auf ihren Urlaub, das schicke Auto verzichten.
Die spannende Frage bei der Viertagewoche ist doch: Was machen die Leute am Freitag? Wenn dann die Menschen nur konsumieren, einkaufen gehen, ist das mit Lohnverzicht gar nicht zu machen, weil dann die Ausgaben noch steigen würden. Meine Vision ist, daß die Leute hergehen und diesen zusätzlichen Zeitgewinn stärker für Soziales verwenden. Zum Beispiel mehr Zeit für Kinder. Wir klagen in der Jugend- und Gewaltdebatte darüber, daß diese Jugendlichen mit Konsum vollgestopft werden, aber nicht Zeit im Sinne von Zuwendung der Eltern oder Erziehungspersonen bekommen haben. Da wäre ein Tausch möglich für Soziales, für Kinder.
Der Gewinn an Freizeit durch Arbeitszeitverkürzung gilt aber offenbar wenig, wenn man die öffentliche Diskussion verfolgt.
Das Potential, was im Zeitgewinn steckt, muß man positiv und gesellschaftlich diskutieren. Vielleicht ist da auch ein ökologisches Potential, ein Potential mehr Spaß am Leben drin, wenn wir dazu kommen, daß diese Zeiten sinnvoll genutzt werden. Vielleicht kann man beispielsweise mehr selber machen durch diesen Zeitgewinn. Ob die Leute mal was selber reparieren, statt teuer und ökologisch wegzuwerfen und neu zu kaufen, das spielt schon eine Rolle. Ob sie ihre Kinder versorgen, sich um die Alten kümmern können, das ist wichtig. Dann könnte aus solch einer gesellschaftlichen Arbeitszeitverkürzung, einem Solidarpakt „Arbeit für alle“, ein Sozialstaat entstehen, der menschlich besser und auch weniger teuer ist. Interview: Barbara Dribbusch
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