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Lenin verläßt das Herz der UdSSR

■ Leninmuseum in Moskau geschlossen / In das Gebäude am Roten Platz soll das Parlament der russischen Hauptstadt einziehen

Moskau (taz) – Endlich kann sich Lenin auf eine ruhige Pensionszeit einstellen. Sein Schrein, das Museum am Roten Platz, wird wieder seiner alten vorrevolutionären Bestimmung zugeführt. Künftig soll das Gebäude – wie schon vor der Revolution – die Stadtduma, Moskaus Parlament, beherbergen. Natürlich wird das Lenin noch einmal schmerzen. Mit Parlament hatte er nun wirklich nichts am Hut, für ihn war es lediglich eine „Bühne“. Quartiert man ihn auch noch aus dem Mausoleum, 200 Meter vis à vis, um, ist der Gründer der Sowjetunion aus dem Herzen Rußlands ganz und gar verschwunden.

Seit langem kämpften Lenins Getreue um den Erhalt des Sakrifiziums. Dazu ließen sie sich sogar auf ideologische Kapriolen ein. Kapitalisten zogen ein, Börsianer – „Kouponschneider“ mit Lenins Worten – und mit ihnen kam selbstverständlich der Konsum und dessen Erotisierung. Das muß die phallische Vaterfigur der Sowjetunion ungeheuer angegangen haben.

Bisher kamen die unzähligen Besucher zu ihm, um den Großteil seiner erotischen Energie zu entladen. Die UdSSR kannte keinen Sex. Millionen Sowjetbürger machte Lenin zu Peeping Toms – Voyeuren – der politischen Ereignisse. Kommunistische Partei und KGB definierten die Körpergrenzen des neukonstruierten Kollektivkörpers, der sich landauf, landab an stählernen Lenins, Stalins und Breschnews zu reiben hatte. Und wie sollte es anders sein, Metapher dieses Kollektivkörpers wurde „Mütterchen Rußland“ – die Frau mithin. Homophilie stand schließlich unter Strafe.

Doch schon in den vergangenen Monaten hatte die Direktorin des Museums Flexibilität bewiesen und war vor Blasphemie nicht zurückgeschreckt. Konzeptualistische Künstler zweckentfremdeten die Leninalia zu einem Ensemble der Soz Art, betrieben somit Dekonstruktion von Ideologie.

In letzter Zeit fand am Roten Platz auch das „unbekannte Wesen Lenin“ Aufnahme in die Exhibition. Man erfuhr nicht nur von seiner Krankheit, (Führer erfreuen sich ansonsten immer bester Gesundheit), selbst Teile einer nicht ganz sauberen, befleckten Weste tauchten auf.

Apropos Weste. Am meisten faszinierte mich Lenins Anzug, den er beim Attentat trug. Die nicht lebensgefährlichen Einschußlöcher waren weiß, die gefährlichen Rot markiert. Natürlich vermissen wir Kleinigkeiten der Geschichte drumherum: Die vermeintliche Attentäterin Fanny Kaplan wurde standrechtlich erschossen. Die revolutionäre Justiz gab sich mit kleinlichem Indiziensammeln nicht ab. Zeit fehlte. Legitimation für Terror mußte her, und Kaplan erfüllte dies idealtypisch: Sozialrevolutionärin, mit schwarzer Brille, Schirm und Jüdin! Die Tatwaffe, obwohl man Kaplan an Ort und Stelle festnahm, fand man nie.

Zu denken gaben mir auch immer Lenins Zeugnisse. Ein brillianter Schüler, alles Einser – sogar in Religion. Soweit ich mich erinnere, gab der Revoluzzer selbst in Betragen keinen Anlaß zur Beschwerde. Nur in einem Fach haperte es. Die Logik – mit einer Zwei mußte er vorlieb nehmen, ohne zu jenem Zeitpunkt mit der Dialektik in Berührung gekommen zu sein. Naja, Logik ist eine bürgerliche Wissenschaft, aber wenn man das früher gewußt hätte... Klaus-Helge Donath

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