Nur Zeit ist hier reichlich vorhanden

■ Gemeinschaftsprojekte wie Volkswagen Shanghai sind ein mühseliges Unternehmen

Shanghai (taz) — Ein Höllenschlag, dann noch einer. Mit vollem Karacho knallt die tonnenschwere Presse aus Erfurt auf das Blech. Die beiden Arbeiter, die Ohren mit einem dicken Lärmschutz verschlossen, nehmen ihre Hände von den Sicherheitsgriffen. Dann greifen sie den fertigen Kotflügel, heben ihn aus der Form und legen ihn auf einen Wagen.

Hingen da nicht ab und zu unscheinbare Holzschilder, die Autofabrik könnte genausogut irgendwo in Deutschland stehen. „Unser Ziel: Arbeitsfehler verhindern“, lautet die Parole neben dem kleinen Büro, in dem die Abteilungsleiter des Preßwerks über Materiallisten, Schichtplänen und Produktionsziffern brüten. Wenige Meter weiter, in der Karosseriemontage beschwört ein simpler Slogan den Teamgeist: „Einer für alle, alle für einen, wir alle für eine bessere Zukunft“, steht auf einer Tafel, geziert von einem Foto des ersten Werkleiters.

Ein wenig Pathos muß sein, hat sich wohl die Betriebsleitung gesagt, schließlich handelt es sich bei dem 1984 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen Shanghai Volkswagen Automotive Company (SVW) um ein Symbol chinesisch-deutscher Zusammenarbeit. „SAIC und VW werden tatkräftig die Nationalisierung vorantreiben“, haben die ungleichen Partner für die Zukunft festgehalten. Das Ziel: eine eigenständige Autoindustrie in China zu entwickeln. „Das Wachstumspotential ist enorm“, sagt Verkaufsdirektor Peter Loew. 1,2 Millionen Autos fahren bislang in ganz China – bei einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden keine schlechten Aussichten.

Doch bis dahin ist noch ein langer Weg. Zunächst einmal sollen in diesem Jahr 100.000 Santanas vom Band rollen, 1992 waren es nur 65.000. Ein Klacks, denn weltweit setzt VW das 35fache ab. Zwar reden alle von dem gigantischen Markt, doch auch die Wolfsburger Manager vor Ort haben eingesehen, daß angesichts der fehlenden Infrastruktur und geringen Massenkaufkraft die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Noch immer lebt das Projekt fast ausschließlich vom chinesischen Plan, die Autos werden zu 98 Prozent von staatlichen Stellen abgenommen und als Dienstwagen für Funktionäre oder Taxis verteilt. Für Volkswagen ist das Engagement eher von strategischer Bedeutung: Die Wolfsburger wollen China zunächst einmal als Produktionsbasis für den asiatischen Raum aufbauen, um das Monopol der japanischen Konkurrenz aufzubrechen, die sich bisher den Markt unter sich aufteilt. Auch ein politisches Restrisiko bleibt: „Wenn ein Unternehmen heute Geld in ein Weichwährungsland steckt, kann es schnell weg sein“, sagt Bernd Farny, technischer Direktor des Werkes.

So bleibt Shanghai Volkswagen, trotz der Gewinne, die das China-Geschäft abwirft, in erster Linie eine Fallstudie deutsch-chinesischer Kooperation. Auch Farny sieht seinen Job teilweise als eine „politische Aufgabe“. Die Zusammenarbeit zwischen den chinesischen Funktionären und dem Wolfsburger Konzern ist nach wie vor kompliziert, belastet durch Materialengpässe, technische Schwierigkeit und bürokratische Hürden. Sechs Jahre hat es allein gedauert, bis aus der ersten Idee einer gemeinsamen Autofabrik unterschriftsreife Verträge hervorgingen. Das Know-how, die Anlagen und noch bis vor kurzem der Großteil des Materials kamen aus Deutschland; die VW-Manager haben es jedoch geschafft, den chinesischen Zulieferanteil auf 80 Prozent zu steigern. Wie Entwicklungshelfer kommen sie sich manchmal vor, immer bemüht, den in planwirtschaftlichen Kategorien denkenden Partnern Qualitätsstandards, Rechtsbewußtsein und Kostendenken zu vermitteln. „Man schließt viele Kompromisse, die man in Deutschland nicht machen würde“, berichtet Farny mit jener Lockerheit, die Manager in diesen Ländern brauchen, um nicht im Chaos unterzugehen. Ein wenig Pioniergeist braucht es da schon.

Für chinesische Verhältnisse ist die Autofabrik ein Musterbetrieb: Die Monatslöhne liegen bei 1.000 Yuan – das ist fast das Dreifache, was ein Arzt oder Lehrer in China verdient. Der „Frühkapitalismus“, der überall wuchert, ist auch den VW-Leuten ein Dorn im Auge. Für den Arbeitsschutz wird in der modernen Farik viel getan, selbst beim Umweltschutz will man Vorbild sein. Die Autos sind mit FCKW-freien Klimaanlagen ausgerüstet, in der Lackierer wurde eine hochmoderne Spritzanlage aus Deutschland importiert und aufgestellt. Nur die Entsorgung der Lackschlämme ist ein Problem: Es gibt dafür keine Deponien. Farnys Assistent Wang ist ganz glücklich: „Ich arbeite sehr gerne hier“, sagt er, „in ganz Shanghai gibt es keine zweite Fabrik, die so modern ist.“

Das Interesse der Chinesen an der Zusammenarbeit, das wissen die Manager nur zu gut, ist langfristig angelegt. „Yibu, yibu“, Schritt für Schritt, wird das Prestigeobjekt ausgebaut. Zeit ist für die Partner genügend vorhanden. Diesen Gang können sich, solange der Staat reglementierend eingreift, nur Industriekonzerne leisten. Doch vor der völligen Freigabe des Kapitalismus wird gewarnt: „Marktwirtschaft wie bei uns wäre hier tödlich.“ Erwin Single