■ Millerntor-Kick
: Stochastik beim FC

Es ist eigentlich viel zu ruhig um den FC St. Pauli. Klar, nach einer bravourösen Serie von 5:1 Zählern und mit einem ausgeglichenen Punktekonto im Rücken läßt es sich einfach gelassener arbeiten. Hinzu kommt die Gewißheit, daß man sogar auswärts wieder siegen kann.

Wenn dann die Hertha aus Berlin am Sonntag um 15 Uhr zur besten Kaffeezeit auf Besuch ans Millerntor kommt, dann ist die Welt noch in Ordnung. Die Berliner, mit hehren Zielen in die Saison gestartet, krebsen nämlich mit 13:19 Punkten auf einem Abstiegsplatz. Trainer Uwe Reinders war nach der Heimniederlage vom letzten Wochenende sehr, sehr böse und versucht es jetzt mit Druck. Rechtzeitig für den Kiez-Klub hat er die großen Namen aus der Mannschaft verbannt.

Druck bringt Erfolg. Das weiß man auch auf St. Pauli. Erst als Trainer Joseph Eichkorn praktisch schon gefeuert war, besannen sich alle Beteiligten und holten nicht schön, aber schnell die nötigen Punkte. Mit Stochastik allein ist das nicht zu erklären. Vielleicht mit Zufall, sicher aber auch mit Dusel.

Umso ärgerlicher, daß Erfolg zufrieden macht, denn Zufriedenheit lähmt. Kein Wort mehr vom Ultimatum, von Krise oder mangelnder Einstellung. Trainer Joseph Eichkorn sitzt wenigstens bis zur Winterpause fest im Sattel. Man schielt sogar wieder vorsichtig nach oben: Da trennen St. Pauli nämlich nur drei läppische Zähler von einem Aufstiegplatz; und immerhin hat man schon ein stattliches Drei-Punkte-Polster zum Abstiegsplatz. Das ist doch was.

Zufriedenheit also zu Hause gegen Druck, und sollte sie gewinnen, wird ja vielleicht ein bißchen Euphorie daraus. Wenn nicht, dann hat der Alltag St. Pauli wieder.

Die Fans jedenfalls scheinen eher an die zweite Möglichkeit zu glauben. Gerade mal 7000 Karten waren bis gestern verkauft. Wahrscheinlich haben sie sich an das letzte Heimspiel erinnert, denn nicht nur die vielzitierte Zufriedenheit lähmt, sondern auch die Kälte, besonders, wenn man vor lauter Langeweile dauernd auf die Uhr schauen muß.

Gunnar Griepentrog