: Lauter gute Menschen, und Rau der beste
Zum Abschluß des SPD-Parteitags hält der Präsidentschaftskandidat eine präsidiale Rede und der Kanzlerkandidat eine entschlossene, die „Hoffnung und Mut“ machen sollte ■ Aus Wiesbaden Matthias Geis
So machtgestimmt wie auf ihrem Wiesbadener Parteitag wirkte die SPD lange nicht mehr. Wie kaum zuvor seit dem Ende der sozialliberalen Koalition werden ihr heute realistische Chancen auf den Rückgewinn der Bonner Regierungsverantwortung eingeräumt. Die Partei zieht mit, doch mitreißen konnte Rudolf Scharping, der Matador der neuen SPD, auf dem für ihn so erfolgreichen Parteitag niemanden.
Aus der Not macht er eine Tugend: Zu oft sei die SPD begeistert gestartet und ernüchtert gelandet, hatte er die Delegierten bereits am ersten Tag auf das Kommende vorbereitet. Mit ihm soll es umgekehrt werden. Doch ganz wollten sich die Sozialdemokraten mit dem emotionalen Vakuum nicht abfinden: Zum Abschluß des Parteitages stand Johannes Raus Kür zum Präsidentschaftskandidaten auf dem Programm – das, bei aller neuen Genossen-Harmonie, mit Abstand unumstittenste Projekt.
Bereits am Vortag war der Anwärter mit über 97 Prozent als Scharping-Stellvertreter wiedergewählt worden. Ein schönes Ergebnis, nur leider die falsche Versammlung. Denn daß Johannes Rau im Mai nächsten Jahres zum Bundespräsidenten gewählt wird, ist mehr als unwahrscheinlich, seit die Union immer offener über die Rückzugsmodalitäten Steffen Heitmanns, des ungeliebten Wunschgegners der Sozialdemokraten nachgrübelt.
Macht nichts, die Genossen sind glaubensfest, und Johannes Rau fand ein dankbares Auditorium. „Es wäre schön“, kleidete er seinen Traum vom Präsidentenamt in eine zurückhaltend-deutliche Formulierung, „wenn dies mein letzter Parteitag wäre, weil ich dann eine andere Aufgabe wahrnehmen wollte.“ Bewußt habe er sich nicht an einer „Bewerbungskampagne“ beteiligt. Denn es gäbe nicht mehr viele politische Institutionen, die noch nicht von der Politikverdrossenheit erreicht worden seien. Erwartungsgemäß bekam der Amtsanwärter am Ende Standing ovations und wurde mit dieser Akklamation formell als Kanidat nominiert, doch mit feinem Gespür für die Erfordernisse der Stunde blieb der Beifall moderat. Zu deutlich präsentierte sich Rau als überparteilicher Konsenskandidat, als ein dem Alltagsgeschäft bereits entrückter Genosse.
Raus Bewerbungsrede geriet ihm um so überzeugender, als zuvor Rudolf Scharping die Partei eher auf neue Eindimensionalität getrimmt hatte. Was die SPD jetzt bereit ist, im Interesse des Machtgewinns in den Hintergrund zu rücken, holte Rau als präsidiales Thema wieder hervor. Wo bei Scharping die gesellschaftliche Debatte leicht zum folgenlosen Gerede herabgestuft wird, lobte Rau den „bis in die Feuilletons“ reichenden „Diskurs“. Wo der Spitzenmann in seiner Eröffnungspräsentation die ökologische Verantwortung nur noch in Zusammenhang mit der Modernisierung der Volkswirtschaft thematisierte, integrierte Johannes Rau auch noch den bedrohten Regenwald in seine vorpräsidialen Überlegungen. Wo bei Scharping Rechtsradikalismus, Immigration und Ausländer in den toten Winkel der kommenden Wahlkampfauseinandersetzung gerieten, fand Rau gute Worte für Integration, Mitmenschlichkeit und Solidarität. Doch gerade in diesem Kontrast wurde die zuvor weitgehend widerspruchslos hingenommene „Konzentration auf das Wesentliche“ eher verdeutlicht und die weichen Themen in die präsidiale Nische überwiesen.
Zum weichen Thema geriet in der letzten Stunde des Parteitages auch die Einheitsdebatte. Wolfgang Thierse und Günter Verheugen legten eine Resolution vor, in der erneut versucht wurde, die wachsende West-Ost-Spaltung zu thematisieren und Perspektiven ihrer Überwindung anzudeuten. Doch das Wissen, „daß wir es dabei nicht jedem recht machen können“, nimmt der Resolution nichts von ihrer bekenntnishaften Ausgewogenheit. Der „bewunderungswürdigen Anstrengung und Geduld“ der Ostdeutschen werden „die Zumutungen vor allem an die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer“ im Westen gegenübergestellt. Die gerechte Verteilung der Lasten, also die Kritik an der amtierenden Bundesregierung, wird eingefordert und bildet weiter den gemeinsamen sozialdemokratischen Ost-West-Nenner. Am Ende wird das Credo erneuert, es gelte nun, die „heutige Konkurrenz zwischen Ost- und Westdeutschland abzulösen“. Die SPD „steht für einen großen gemeinschaftlichen Aufbruch.“
Aufbruch, den beschwor am Ende auch Rudolf Scharping in seinem Schlußwort, einer Art summarischen Kompensation der Blindstellen seiner Eröffnungsrede wie der Befürchtungen über eine allzu rigide Kurswende der SPD. Der Parteitag habe zwar, so Scharping „alte sozialdemokratische Tugenden wiederbelebt“; doch, so räumte Scharping alle Bedenken vom Tisch, das bedeute nicht, „daß wir alte Politik wiederbeleben wollen.“ Die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, die Ökologie, die Achtung von Minderheiten und das friedliche Zusammenleben mit den Nachbarn habe für die SPD weiterhin hohen Stellenwert.
Scharping rief die Partei zu „Geschlossenheit und Entschlossenheit“ auf. Vom Wiesbadener Parteitag sollten „Hoffnung und Mut“ ausgehen für die Ablösung einer „verschlissenen Regierung Kohl“. Jetzt gehe es um die Auseinandersetzung mit der Koalition, die für die grassierende Arbeitslosigkeit verantwortlich sei, die soziale Gerechtigkeit beschädigt und den inneren Frieden zerstört habe.
Bei aller hierfür erforderlichen Geschlossenheit wollte Scharping dann doch noch die letzten Bedenken an der Alternativlosigkeit seines Kurses zerstreuen und das Unbehagen am sozialdemokratischen Kulturbruch dämpfen. Aus der SPD werde auch künftig „keine Kompanie“, Kritik sei „ausdrücklich erwünscht“ ebenso wie die „Querdenker“ in der Partei. Daß die sich nicht als „Querschläger“ betätigten, dafür müsse auch künftig Sorge getragen werden.
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