: Hoffnung für Ratten
■ Mit Eierversuchen Tierversuche vermeiden
Niels-Peter Lüpke bestellt im Jahr 15.000 Eier. Doch die kommen nicht auf den Frühstückstisch des Professors. Der Toxikologe von der Universität Osnabrück hat ein Verfahren entwickelt, bei dem an befruchteten Hühnereiern Chemikalien auf ihre Schädlichkeit hin untersucht werden können. Einen Reihe von Tierversuchen wird so überflüssig.
Seit 20 Jahren bereits forscht Lüpke nach Ersatzmethoden für Tierversuche. Dabei stieß er auf ein feines Häutchen (Membran) im befruchteten Hühnerei, das stark von Blutgefäßen durchzogen ist. Diese Äderchen reagieren auf chemische Substanzen ähnlich wie beispielsweise Kanninchenaugen. Die Versuche am Ei werden bis zum 11. Tag nach der Befruchtung vorgenommen. Bis dahin haben sich noch kein Nervensystem ausgebildet. Die Experimente sind also schmerzfrei. Nach den Versuchen werden die Eier teilweise ausgebrütet, so daß ein gesundes Küken schlüpft.
„Jede chemische Substanz, die in Deutschland neu auf den Markt kommt muß bislang im Tierversuch erprobt werden“, erklärt Lüpke. Der Augenschleimhaut-Reiztest sei eines der schmerzhaftesten Experimente. Die Versuchskanninchen müßten sich bis zu 14 Tagen mit zum Teil stark reizend Chemikalien in den Augen quälen. Am Ende stehe dann fest, ob zum Beispiel ein neues Haarshampoo Reizungen an menschlichen Augen hervorrufe oder nicht.
Testreihen mit zehntausenden von Hühnereiern haben jetzt ergeben, daß Lüpkes Membrantest vergleichbare Ergebnisse zutage fördert, wie die schmerzhaften Laborversuche an Tieren. Der Forscher ist optimistisch, daß seine Methode bald durch die Europäische Union als Ersatz für Tierversuche genehmigt wird.
Doch eines steht fest: „Ganz können Tierversuche niemals ersetzt werden“, meint Lüpke. Arzneimittel, die beispielsweise das gesamte Blutdrucksystem des Menschen beeinflussen, könnten nur am lebenden Organismus getest werden. Die Zahl der Tierversuche sei jedoch weltweit in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen, weil Doppelstudien in verschiedenen Ländern inzwischen überflüssig seien.
Den Kampf gegen unnötige Tierversuche hatte sich auch die österreichische Immobilienhändlerin Josefine Charlotte Schiffer verschrieben. Nach Ihrem Tod vermachte sie Lüpke jetzt ihr Vermögen zu Forschungszwecken. Eine nach Schiffer benannte Stiftung mit einem Kapital von 1,4 Millionen Mark wurde kürzlich an der Universität eingerichtet. 80.000 Mark stehen dem Toxikologen und seinen Mitarbeitern im Jahr zusätzlich unter anderem für die Eierversuche zur Verfügung. Die Leidenschaft für das ovale Nahrungsmittel auf dem Frühstückstisch hat der Professor trotz der vielen Testreihen nicht verloren: „Doch die Hälfte meiner Mitarbeiter mag mittlerweile keine Eier mehr essen.“
Rolf Lampe/dpa
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