: Homosexuelle Power = Null
Ein Holzschnitt von hohem Gebrauchswert: Werner Schroeter inszeniert in Hamburg Tony Kushners Aids-Stück „Engel in Amerika“ ■ Von Sabine Seifert
Der Rabbi ist eine Frau (Monica Bleibtreu), sein Alter biblisch und der Bart weiß und lang. Er watet durch Wasser, hält seine bewegend-komische Ansprache am Grab der Sarah Ironson („In ihr war nicht ein Mensch, sondern eine bestimmte Art von Mensch.“) vor einer fiktiven Trauergemeinde. Er spricht zum Publikum: Der Prolog ist ein Abgesang auf das Amerika der 80er Jahre, das sich seiner Wurzeln, seiner Herkunft aus und seiner Verbundenheit mit der Alten Welt nicht mehr erinnern kann. Kein Wunder, daß später Engel durch die Geschichte spuken, die hier zwar keine kleinen Wunder vollbringen können, aber doch das Naheliegendste, etwas ganz Menschliches – Sterbehilfe – leisten.
Der im Text vermerkte osteuropäische Akzent des Rabbi mit seinen jiddischen Elementen ist in dieser reinen klaren Frauenstimme getilgt. Folklore wird ausgespart: die jüdische Trauergemeinde, der Friedhof, Gesänge.
Die Bühnenbildnerin Alberte Barsacq hat Werner Schroeter für seine deutsche Erstaufführung von Tony Kushners „Engel in Amerika“ – erster Teil einer Trilogie mit dem Untertitel „Schwule Variationen über gesellschaftliche Themen“ – eine eher karge, multifunktionale Bühne mit einigen Hochhausattrappen gebaut. Einzelne Möbel und andere Requisiten lassen sich ausfahren, die an- und ineinander geschnittenen Spielszenen werden schnell angedeutet. Auf der Bühne entsteht ein holzschnittartiges Tableau der amerikanischen Gesellschaft der 80er Jahre, die sich ihren brisanten Themen nicht stellen will. Hierzu zählt natürlich Aids.
Nun ist „Engel in Amerika“ keineswegs ein Rühr- oder Aufklärungsstück, sondern ein komisches, spritziges Zeitstück von hohem Gebrauchswert. Kushner beschreibt, ohne zu menscheln, wie eine schwule Liebesbeziehung aufgrund von Aids zerbricht; er zeigt darüber hinaus, wie das Leben mit internalisierten Tabus krank macht. Drei Handlungsstränge werden miteinander verquickt: Der aidskranke Prior muß ins Krankenhaus und stirbt dort am Ende, zwar von seinem Freund Louis, nicht aber von allen guten Engeln und Geistern verlassen; Louis lernt, während er vor seinem kranken Freund ausbüchst, den Gerichtsangestellten Joe Harper kennen, einen Mormonen, der sich und seiner Frau Harper seine Homosexualität nicht eingestehen will, sich aber von dem mächtigen Anwalt Roy M. Cohn einwickeln läßt. Cohn ist eine historische Figur, ein schwuler rechtsradikaler Anwalt, der als rechte Hand McCarthys fungierte und leidenschaftlich Kommunisten und Homosexuelle jagte. Seinem Arzt, der ihm eröffnet, daß er an Aids erkrankt sei, erklärt er im Stück, warum er kein Schwuler sei und darum Leberkrebs habe: „Nicht um Ideologie oder sexuelle Interessen geht es, sondern um etwas viel Einfacheres: um Power. Nicht wen ich bumse oder wer mich bumst, sondern wer geht ans Telefon, wenn ich anrufe, wer schuldet mir einen Gefallen. ... Für einen, der das nicht versteht, ist homosexuell genau das, was ich bin, weil ich Sex mit Männern habe. Doch in Wirklichkeit ist das falsch. Homosexuelle sind nicht Männer, die es in fünfzehn Jahren immer noch nicht geschafft haben, auch nur eine winzige Antidiskriminierungsverordnung im Stadtrat durchzubringen. ... Power gleich Null.“ Die Antidiskriminierungsgesetze hat der echte Cohn, der sich stets rühmte, Ethel Rosenberg auf den elektrischen Stuhl gebracht zu haben, erfolgreich zu verhindern gewußt.
Die einen rennen vor der Krankheit und ihren Ängsten davon, zwei bleiben auf der Strecke: der todkranke Prior und die tablettensüchtige Harper, die Mormonengattin, die in Schroeters Inszenierung von Barbara Nüsse keineswegs als Faltenrock tragendes, frömmelndes Eheweib dargestellt wird, sondern als flippiges, alt gewordenes Mädchen, das immer vor allem Angst gehabt hat. Prior und Harper treffen sich gar in ihren Halluzinationen, womit den Traumsequenzen, ob den Tabletten oder dem Fieberwahn geschuldet, ein durchaus komischer Zug zuteil wird: sie konterkarieren den Realismus des Stücks, tragen sozusagen etwas Glanz (vor allem durch die schöne engelhafte Erscheinung von Zazie de Paris) in die elenden Hütten. Die Halluzinationen sind nicht etwa die alptraumhafte Übersteigerung und Verzerrung der Wirklichkeit, sondern bringen ein versöhnliches, ein Heilsmoment in eine Krankengeschichte.
„Engel in Amerika“ ist ein Kolportagestück, das seine Versatzstücke der sozialen Wirklichkeit rasant hintereinander, manchmal gar simultan montiert. Mit dem Tempo hält Werner Schroeter nicht Schritt. Seine Inszenierung wirkt etwas mühsam, schleppend; gerade das Holzschnittartige des Stücks, das die Schauspieler zum Teil sogar mehrere Rollen verkörpern läßt, verlangt eine sehr genaue Zeichnung, gar Überzeichnung der Charaktere: Da findet keine Entwicklung statt, sondern – Spot an – die Farbe, der Ton, die Kennung müssen sofort stimmen und bühnenwirksam sein. Schroeters Schauspieler lösen diese Erfordernisse nur teilweise ein: Der kranke Prior (Nicki von Tempelhoff) wie auch der Mormone Joe (Stephan Bissmeier) bleiben etwas blasse Gestalten, während Matthias Fuchs als Cohn und Markus Boysen als Louis ordentlich aufzutrumpfen vermögen. Monica Bleibtreu ist ausgesprochen wandlungsfähig, auch wenn ihr Einsatz konzeptionell nicht immer einleuchtet (da hält Schroeter sich zu sehr ans Textbuch); Barbara Nüsse, die Schroeter wie ein Antiklischee einsetzt, erreicht sehr intensive Momente, und doch wirkt ihre Verlorenheit teilweise wie aus- oder bloßgestellt. Auch die sexuell handgreiflichen Szenen sind steril bis albern – irgendwie nimmt man den Schauspielern das Schwulsein einfach nicht ab.
Schroeter ist mit seiner Inszenierung kein Meisterwerk gelungen, dafür fehlt ihm vielleicht das Gespür oder auch die Lust daran, sich auf die Tradition und das Handwerklich-Bodenständige des angelsächsischen Theaters, das mehr auf Aktualität als auf Tiefgang setzt, einzulassen. Dennoch ist seine Inszenierung – wie das Stück – von hohem Aktualitäts- und Gebrauchswert. Und schließlich geht es darum, auch im Theater, wo die goldenen Putten – wie es sie im schönen Hamburger Schauspielhaus gibt – sonst bloß lahm die Flügel hängen lassen.
„Engel in Amerika“ von Tony Kushner. Regie: Werner Schroeter, Bühne und Kostüme: Alberte Barsacq, Hamburger Schauspielhaus, nächste Aufführungen: 25.11.; 1., 21., 22., 28. und 29.12.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen