: Arme Debatte zur autoarmen Innenstadt
■ Die Koalition ist sich beim Thema Autoverkehr nur in einem einig: Die CDU ist doof
Wie gut für die Ampel-Koalition, daß es die CDU gibt. Sonst gäbe es keinen kleinsten gemeinsamen Nenner, unter dem man sich sammeln und losschlagen kann. Die Aktuelle Stunde zum Thema „Modellversuch autofreie Innenstadt“ gestern in der Bürgerschaft machte es deutlich: Inhaltlich können die Meinungen in der Koalition auseinandergehen, wenn man gemeinsam lästern kann.
Die Rolle des kleinen, dicken Doofen, auf dem alle herumhacken, sollte der CDU-Abgeordnete Helmut Pflugradt spielen, und er machte es der Koalition leicht. Ein Modellversuch „autofreie Innenstadt“ gefährde 5.000 Arbeitsplätze in der Stadt, „und mit Arbeitnehmern darf man keine Versuche machen“, mahnte er. Insgesamt stünden 10 Mio. Mark auf dem Spiel, die dieser Versuch kosten soll, dazu werde das Image der Stadt weiter ramponiert.
Da war für den SPD-Fraktionsvize Reinhard Barsuhn Platz genug, argumentativ ungefährdet den Beschluß der Fraktion zu erläutern. Vor zehn Tagen nämlich hatte die SPD-Fraktion einen Modellversuch „autoarme Innenstadt“ aus dem Haus der Bausenatorin auseinandergenommen und zur Bearbeitung ins Ressort zurückgeschickt. „Wir haben die Probleme damit erkannt und versuchen, etwas anderes zu machen.“ Auf keinen Fall will die SPD-Fraktion eine Sperrung der City, die „auch für den Individualverkehr erreichbar bleiben muß.“ Barsuhn sprach von einer „Stadt am Fluß“, mit einer zweispurigen Martinistraße.
Bausenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte ließ nur in einem Halbsatz anklingen, was sie davon hielt. „Jede Fraktion kann ihre eigene Meinung entwickeln“, wandte sie sich an die SPD-Bänke im Plenarsaal. Sie allerdings bevorzuge weiter einen „mehrwöchigen Modellversuch“, für den sie sich „in den nächsten Wochen“ das Okay aus dem Senat geben lassen will. Der könne ja auch so enden, daß man von bestimmten Maßnahmen Abstand nehme. Es gebe dabei keine „prinzipiellen Gegensätze“ zwischen ihr und der SPD-Fraktion.
Auch die Grünen debattierten in der Aktuellen Stunde nur ihre Abgrenzungen zur CDU. Dieter Mützelburg, der zuständige Fraktionssprecher, war aus persönlichen Gründen verhindert und konnte nicht debattieren. Er war nach dem SPD-Fraktionsbeschluß, den Versuch autoarme Innenstadt noch einmal abzublasen, vom Amt als Sprecher der Baudeputation zurückgetreten: Brisanter Zündstoff für die Koalition. Stattdessen stellte Elisabeth Hackstein fest, daß „die CDU auf einen Zug aufgesprungen sei, den die SPD schon längst angehalten“ habe. Wer außerdem die Krebsrisiken durch zunehmenden Autoverkehr mißachte, mache sich „der fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge“ schuldig. Zur Haltung der SPD gab's kein Wort aus grünem Mund.
Wo da die FDP steht, verdeutlichte der Abgeordnete Klaus Ziegler. Der konstatierte einerseits, daß „Kunden mit dem Auto in die Stadt wollen und deshalb die Innenstadt mit dem Auto erreichbar sein muß.“ Andererseits sei „Verkehr in der Stadt eher eine Belastung als ein Vergnügen“, und deshalb solle möglichst nur der Pendlerverkehr aus der Stadt herausgehalten werden. Zum Modellversuch äußerte sich Ziegler äußerst koalitionsloyal: Weil der Modellversuch im Koalitionsvertrag vereinbart sei, werde er auch durchgeführt. Ziegler wörtlich: „Ich muß das wollen.“
Und so klangen denn nach denkwürdiger Debatte die Worte der Bausenatorin im Plenarsaal nach wie eine Hupe im Wind: „Vielleicht wächst ja die Erkenntnis, es geht ja doch, wenn wir nur wollen.“ mad
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