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Ostdeutsche auf dem Abstellgleis

Die Doppelstockwagen der Waggonbau Görlitz GmbH könnten ein Marktrenner werden. Aber ohne Hermes-Kredit beginnt an Weihnachten eine fünfmonatige Zwangspause  ■ Aus Görlitz Detlef Krell

Den Görlitzer Waggonbauern klang es wie Hohn in den Ohren. Mit Fahrplanwechsel sollen alle Interregiozüge nach Görlitz wegfallen; D-Züge werden durch Nahverkehrszüge ersetzt, die für die 100 Kilometer von Dresden in die Grenzstadt satte zweieinhalb Stunden brauchen. Die Bahnprivatisierung wirft ihre Kostenschatten voraus. Sachsen droht der Bahnreform nun mit Stimmverweigerung im Bundesrat, falls die Strecke Dresden–Görlitz als Teil der „Sachsenmagistrale“ aus dem Bundesverkehrswegeplan herausfällt.

Noch fahren keine Görlitzer Doppelstockwagen auf dieser Strecke. Aber schon an diesem Wochenende gibt es eine Premiere in Bayern. Zwischen Ingolstadt und München wird für die schmucken Zweireiher das Abfahrtssignal ertönen. Geht es nach dem traditionsreichen Waggonbauunternehmen, einem der fünf Betriebe des Treuhandkonzerns Deutsche Waggonbau AG, werden seine Doppelstockwagen das deutsche Regional- und Fernverkehrsnetz erobern. Eine Option der Bundesbahn auf die Fertigung von 250 Wagen im Zeitraum 1994 bis 1996 liegt bereits vor, allerdings noch kein rechtsverbindlicher Vertrag.

Nötig hätten sie es, die Bahnen in Ost und West, ihre Wagenparks zu erneuern. Aber: „Die Bestellprozesse sind gestört“, klagt Ullrich Kessler, einer der Geschäftsführer der Waggonbau Görlitz. Die Reklamationen aus den Ländern und die Fahrplanspiele bei der Bahn seien ein deutlicher Kommentar zum Stand der Bahnreform. Für den Görlitzer Waggonbau, der seit 1990 schwarze Zahlen schreibt, stehe ein schwarzes Jahr ins Haus, wenn bei der Bahn die Weichen falsch gestellt werden. „Das große Geld wird im Nahverkehr gemacht“, und der Görlitzer Doppelstockwagen hätte die besten Chancen. „Viele Umweltparameter unterbieten wir gegenüber einstöckigen Waggons um 50 Prozent“, rechnet Kessler vor. Bequemer und umweltverträglicher als jedes Auto sind die Neuen allemal.

„Für den Herrn Dürr sind wir ein Geschenk der Geschichte“, verkündet selbstbewußt der Geschäftsführer. Görlitz habe frischen Wind in den ausgereizten Wettbewerb der Schienenfahrzeugindustrie gebracht. Eine politische Entscheidung könnte jedoch zur Folge haben, daß pünktlich zu Weihnachten eine mindestens fünfmonatige Schließung des Unternehmens auf dem Gabentisch liegt: Letztmalig für das erste Halbjahr 1994 ist der Waggonbau auf Hermeskredite mit Sonderkonditionen in Höhe von 201 Millionen Mark angewiesen. Noch im vorigen Jahr gingen 80 Prozent der Exporte hermesgedeckt in die GUS- Staaten; ab 1995, so sieht es das Konzept der Deutschen Waggonbau AG vor, wäre Hermes kein Thema mehr.

Über Kredit sollen 70 Schlafwagen und 60 Büfettwagen an Rußland geliefert werden. Dafür gibt es einen 1991 abgeschlossenen Vertrag mit Staatsgarantie. Kessler nennt es „Zweckoptimismus“, daß Bonn die Kredite zwar zugesagt habe, in Görlitz aber „keine müde Mark“ eingetroffen sei. Schon heute arbeitet jeder dritte kurz.

Tag für Tag rutscht nun der Rußland-Auftrag ins nächste Jahr ab, oder ganz ins Ungewisse. In einem offenen Brief an den Bundeskanzler vom 27. Oktober erklärte die Belegschaft, daß eine fünfmonatige Schließung das Ende ihres Betriebes und so auch den Zerfall der DWA bedeuten würde. Erklärtes Ziel der Konzernleitung und Belegschaft in allen DWA- Betrieben ist es aber, diesen Verbund bei der für Anfang des nächsten Jahres erwarteten Privatisierung unbedingt zu bewahren. Eine Antwort aus dem Kanzleramt steht noch aus.

„Die Hermes-Kredite sind nicht in den Sand gesetzt“, widerspricht der Geschäftsführer einem gängigen Vorurteil. So hätte die DWA den GUS-Reformprozeß unmittelbar unterstützt: „Ohne unsere Lieferungen wäre das Transportsystem schon zusammengebrochen.“ Mit Hermes-Geld habe man Investitionen und Zeit gekauft, die dem Umstieg auf den EU-Markt zugute kämen. Schon 1996 will die Waggonbau Görlitz GmbH 88 Prozent des Umsatzes auf dem bundesdeutschen Markt realisieren. Da liegt es nahe, daß die Konkurrenz ihre Züge davonfahren sieht. 18.000 Waggonbauer arbeiten in Deutschland. Etwa 12.000 dürften es aber nur sein. Mit der Privatisierung stehen bei der DWA weitere Entlassungen ins Haus. „Doch dann“, heißt es in Görlitz, haben wir unsere Schuldigkeit getan.“

Für Sachsen ist der Waggonbau ein „industrieller Kern“. Allein in Görlitz hängen auf diese Weise mehr als 10.000 Arbeitsplätze an der Schiene. Kein Wunder, daß die Fraktionsvorsitzenden sich dort die Klinke in die Hand geben. Neulich war Herbert Goliasch (CDU) da. Sein Rezept: „Lobbyismus in Bonn.“

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