Täglich tausend Arbeitsplätze weniger

Spaniens Wirtschaftskrise hat sich zur Depression ausgewachsen / Rekordzahlen bei Arbeitslosigkeit / Gewerkschaften planen Generalstreik gegen sozialistische Wirtschaftspolitik  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Das soziale Klima in Spanien befindet sich am Siedepunkt. In 57 spanischen Städten haben gestern Demonstrationen stattgefunden, zu denen die Gewerkschaften aufgerufen hatten. Die Demos sollen ein Probelauf für einen Generalstreik im Dezember sein. „Wir wollen das erreichen, was während des Wahlkampfes versprochen wurde, nämlich ein Abkommen zur Schaffung von Arbeitsplätzen“, so Juan Moreno von der Gewerkschaft Comisiones Obreras.

Einen „Wandel im Wandel“ hatte Premierminister Felipe Gonzales vor den Parlamentswahlen im Juni versprochen. Ein Sozialpakt sollte für die nächsten drei Jahre den sozialen Frieden sichern und Spanien aus der Wirtschaftskrise heraushelfen. Auch der Austausch des neoliberalen Wirtschaftsministers Carlos Solchaga durch den dialogbereiteren ehemaligen Agrarminister Pedro Solbes war ein Zugeständnis an die Gewerkschaften. In der Wirtschaftspolitik jedoch zeigt sich nun immer stärker der Einfluß der nationalistisch-katalanischen Partei Convergencia i Unio (CiU), auf die die Sozialisten seit der Wahl angewiesen sind.

Die Wirtschaftskrise, in der Spanien seit zwei Jahren steckt, hat sich zur Depression ausgewachsen. In den vergangenen zwölf Monaten sind jeden Tag 1.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Mit über 22 Prozent der aktiven Bevölkerung hat Spanien mehr als doppelt so viele Arbeitslose wie der Durchschnitt der EU. Neun von zehn Unternehmen planen nach dem neuen Quartalsbericht der Bank von Spanien Kurzarbeit oder Entlassungen. Das Bruttoinlandsprodukt sank im dritten Quartal um weitere 1,1 Prozent.

Es wäre noch viel stärker gesunken, wenn nicht die Peseta während der letzten 14 Monate um 30 Prozent abgewertet worden wäre. So stiegen die verbilligten Exporte um 20 Prozent. Das Haushaltsdefizit beträgt nach neuesten Daten 2,7 Billionen Peseten (30 Milliarden Mark) und hat sich damit innerhalb eines Jahres verdoppelt. Auch die Zukunft sieht nicht rosig aus: Nach Schätzungen der Europäischen Kommission wird das Wirtschaftswachstum 1994 in Spanien 1,1 Prozent betragen – zuwenig, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Verhandlungen für einen Sozialpakt zwischen Regierung, Gewerkschaften und dem Unternehmerverband CEOE haben bislang zu keinem Ergebnis geführt. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, Einsparungen beim Arbeitslosengeld und den Renten sowie Lohnmäßigung hatte sich die Regierung zum Ziel gesetzt. Am 10. November machte sie den Arbeitnehmern Zugeständnisse: Die Sozialbeiträge von Beziehern von Arbeitslosengeld sollen gesenkt und eine automatische Anpassung der Renten an die Inflation beschlossen werden.

Gleichzeitig jedoch wurde ein Regierungsplan zur Reform des Arbeitsmarktes bekannt. Dieser sieht eine Erleichterung von Entlassungen vor – bis zu zehn Prozent der Arbeitnehmer sollen demzufolge entlassen werden können, ohne daß von den Behörden zuvor eine Erlaubnis eingeholt werden müßte, wie bislang der Fall.

Allerdings bestreiten auch Gewerkschafter nicht, daß das gültige Arbeitsmarktgesetz zunehmend Beschäftigung verhindert. Danach ist nämlich jede Person, die seit einem Monat festangestellt ist, unkündbar – mit der Folge, das nur noch befristete Verträge abgeschlossen werden. Ein Drittel der ArbeitnehmerInnen ist darum schon heute nicht festangestellt – Tendenz steigend. „Wenn ein Unternehmen wirklich in der Krise ist, erteilt die Regierung ja die Erlaubnis für Entlassungen“, argumentiert Gewerkschafter Juan Moreno. Es dürfe aber nicht sein, daß die Möglichkeiten für unbegründete Entlassungen erhöht werden.

Einfach werden es die Gewerkschaften nicht haben: Während die Krise den Kampfgeist der Arbeitnehmer unterhöhlt, stehen die Sozialisten – anders als beim großen Generalstreik 1988 – geschlossen hinter ihrer Regierung.