„Warum sollten wir jetzt Rau fallenlassen?“

■ Wolfgang Thierse (SPD) zur Position seiner Partei nach dem Rücktritt Heitmanns

taz: Steffen Heitmann ist mit einem geschickten Schachzug abgetreten. Er schlägt Richard Schröder als Kandidaten vor.

Wolfgang Thierse: Zunächst mal: Warum sollen eigentlich die anderen Kandidaten zurücktreten, nur weil Heitmann zurücktritt? Die CDU will aus ihrem Schlamassel herauskommen, indem sie auf die SPD als Verhinderin einer Ost- Kandidatur zeigt. Für dieses Manöver ist der Vorschlag Richard Schröder bestens geeignet. Außerdem kann man damit versuchen, Zwiespalt in die Reihen der SPD zu tragen. Wenn die CDU wirklich an einem gemeinsamen Kandidaten aus dem Osten interessiert gewesen wäre, so hätte sie das bis vor einem Jahr, ja bis vor einem halben Jahr deutlich machen können. Hat sie aber nicht. Sie hat Namen wie Seite oder Masur lanciert, auch von Richard Schröder war mal die Rede. Ich weiß, daß man solche Fragen nicht auf dem offenen Markt diskutiert, aber es hat bei all diesen Namen nicht die leiseste Fühlungnahme mit der SPD gegeben. Zugleich aber gab es von Seiten Kohls schon sehr früh ein deutliches Signal Richtung Johannes Rau. Die SPD-Mitglieder tendierten innerlich sowieso zu Rau, und schrittweise wurde dann aus dieser (informellen) Neigung ein formeller Beschluß.

Wären sie vor einem Dreivierteljahr für Schröder gewesen?

Natürlich. Für jedes Amt muß ein Ostdeutscher in Frage kommen, wenn er die notwendigen Qualitäten hatte – und die hatte er. Aber jetzt gibt es doch für die SPD weder einen politischen noch erst recht einen personellen Grund, Rau fallenzulassen – nur weil die CDU das mit Heitmann tut. Wenn jetzt Roman Herzog das Rennen macht, werden alle, die ihn ablehnen, denen aber auch Johannes Rau nicht paßt, der SPD vorwerfen: Ihr habt Schuld, daß so jemand wie der Herzog durchkommt. Aber wieso soll einer großen Partei wie der SPD nach einem mehr als einjährigen intensiven Beratungs- und Konsultationsprozeß zugemutet werden, ihren Kandidaten zurückzuziehen? Was jetzt bei der CDU abläuft, ist ein Spielchen, nicht mehr.

Will die CDU überhaupt ernsthaft Schröder nominieren?

Nein. Sie wird den Namen ein paar Tage oder Wochen lancieren, dann zu Herzog übergehen, begleitet von den beschriebenen Schuldzuweisungen. Daß Schröder in eine solche Kandidatur nicht einwilligen wird, ist sowieso klar.

Teilen Sie die Kritik, daß in Stil und Stoßrichtung ein Teil der gegen Heitmann gerichteten Vorwürfe unfair waren und eigentlich ein Angriff auf die Ossis?

Ich glaube, was die Ostdeutschen wirklich verletzte, waren nicht einige überzogene Attacken, sondern die wiederholte Äußerung Schäubles, man müsse an die Ostdeutschen eben niedrigere Maßstäbe anlegen, damit sie in der Politik eine Chance haben. Wir sollen also so dämlich sein, daß man sich uns gegenüber als großzügig erweisen muß.

Ist Heitmann zum Verhängnis geworden, daß er noch nicht weiß, worüber man als Politiker redet und worüber man vorsichtshalber schweigt?

Es kann sein, daß Heitmann diese Konventionen sehr genau gekannt hat. Daß er seine Überzeugungen instrumentalisiert hat dafür, ein bestimmtes Klima in der BRD anzuheizen. Daß er damit bewußt die Rolle spielte, die Kohl ihm zugedacht hat. Er sollte aussprechen, was Konservative nicht aussprechen wollen, manche aus Taktik, manche aus Überzeugung. Aber dann ist er in die Falle getappt. Er hat die kritische Öffentlichkeit nicht einberechnet. Interview: Christian Semler