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Heimat, süße kriminelle Heimat!

■ Kommissar Titus Triller vom Fachkommissariat Belletristik informiert

Zwischen Blutprobenentnahmen und Entwaffnungen verdächtiger Personen, bei nicht enden wollenden Streifenfahrten und Geschwindigkeitskontrollen, bleibt Hamburger Polizisten viel Zeit, sich anhand literarischer Indiziensammlungen fortzubilden. Täter und Opfer lassen sich dabei in drei Kategorien fassen: Die Bösen wohnen am Süllberg (explizit in Hanglage Süllberg von Dieter Spazier) oder in Harvestehude; seriöse Bildungsbürger wohnen in Eimsbüttel und Eppendorf; die Kaputten und die Hoffnungsträger wohnen in St. Pauli. Highlights literarischer Tätlichkeiten stellt Kommissar Triller vor:

1 Der Lustigste:

Frischgebackener Ehemann wird täglich überrascht von vollgeschissenen Windeln im Briefkasten. Welcher Seitensprung hat ihm diese süße Last beschert? Das entwickelt Regula Venske in Schief gewickelt bis zum Mord.

1 Der Ortsunkundigste:

Vom Neuen Pferdemarkt durch die engen Straßen Ottensens zum Paketpostamt Kaltenkirchener Platz? Trotz solcher Abwege ist die Schwarze Post aus Altona von Ralph Schwingel und Toni Huber eine gelungene Humphrey-Bogart-Parodie.

1 Der Ortskundigste:

Kalte Sonne von Lars Becker führt durch den Lessingtunnel, die Werkstatt 3, durch die afrikanische Szene bis zum Befreiungskampf...

1 Der Authentischste:

Ehemaliger KZ-Aufseher und späterer Justizangestellter wird von der Vergangenheit eingeholt, ein norwegischer Journalist recherchiert mysteriöse Morde an ehemaligen Häftlingen des KZ-Neuengamme in Stalins Augen von Ingwar Ambjörnsen.

1 Der Voyeristischste:

Aufwendige Recherchen der Hamburger Polizei auf Männerklos beschreibt Uwe Friesel nach authentischen Vorfällen in Spiegelverkehrt.

1 Die Berühmtesten:

Nicht mehr ganz frisch, aber immer noch nahrhaftes Lesefutter ist Frederick Forsyths Die Akte Odessa. Dasselbe gilt für Patricia Highsmiths Der amerikanische Freund mit Anleitung zum Mord auf der U-Bahntreppe. (Übrigens spielen Edgar-Wallace-Krimis in London, sie wurden aber in Hamburg verfilmt.)

1 Der Widerlichste:

Auszeichnung für Gunter Gerlachs St. Pauli-Weekend! Mit einem verlorenen Schlüssel in der Kotze beginnt, was sich auch sprachlich auf solchen Ebenen bewegt.

Über hanseatische Traditionen mit Hafenflair wie zum Beispiel den Waffenhandel klären auf: Andreas Höfeles Tod in Tanger, Jürgen Peter Books Wilhelmsburger Schattenspiele und Thomas Plaichingers Mademoiselle im Hafen, die Einblicke in Hamburger Mief zu Sturmflutzeiten gewährt.

Nicht zu vergessen sind natürlich die Bank- und Supermarktüberfälle, die Kommissar Trimmel, kreiert von Friedhelm Werremeier, geklärt hat. Ebensowenig unterschlagen darf man das Ehepaar Astrid und Bernd Schuhmacher, das unter dem Pseudonym A.B.S. immer nah an der Poltiszene und trotzdem sehr humorvoll zum Beispiel über das Umfeld der Sympathieinformieren.

Aber ob Hedwig Kellners Karriereleiter letzte Stufe der frauen- oder männerfeindlichste Hamburg-Krimi ist, konnte auch Kommissar Triller bis Redaktionsschluß nicht aufklären.

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