Tanzende Gänseblümchen

■ Paul Weller stellt am 2. Dezember im Docks sein Land-Art-Projekt vor

Paule ist aufs Land gezogen. Eine Ikone der Großstadt, die jahrelang allen Landpomeranzen von den Neonlichtern der Städte gesungen hat, sitzt nun schwärmerisch und barfüßig am Bach.

Rechtzeitig zum Popsommer 1982 hatte der ehemalige Mod mit Mick Talbot an der Orgel Style Council gegründet und richtete sein Augenmerk - entsprechend zur popmusikalischen Expansion des Königreichs - auf Europa. Seine Abkehr von Thatcher-England beschrieb er in „Money-Go-Round“. Doch wo er anfangs noch einen Blick für soziale Mißstände besaß und sich für die Miner's Union einsetzte, verschwamm außerhalb von England seine Beobachtungsgabe. Paris oder seine idealisierte Vorstellung der französischen Kultur mit Trikolore, Eiffelturm, Chanteusen und dem Paris Match trat an die Stelle von London. Das war nicht Frankreich in den 80ern, sondern ein mythologischer Frankreich- Nektar.

Mit seiner Orientierung nach Europa nahm er allerdings den EG-Bürger als kultursüchtigen Lebemann, als Teil einer Großstadtbohème vorweg. Auf Plattencovern umriß die von Weller ersonnene Kunstfigur Cappuccino Kid mit Kaffeehausphilosophie das Lebensgefühl eines Hipsters. Ganz im Geiste dieser Figur sahen sich Style Council stets als Gesamtkunstwerk aus „Leben, Liebe und Ambitionen der 70er“.

Im Verlauf des nächsten Jahrzehnts schien die „Stilberatung“ auszubrennen. Uninspirierter Pop und Paule als aufgeblasene Karikatur nervten Fans und den alten Kumpan Mick Talbot, der sich zu Galliano und den Young Disciples absetzte. Talkin' Loud schien auch für Paule als Solist der Ausweg aus der Schaffenskrise und so steuerte er einige Gitarrenriffs zum Young Disciples-Album Road To Freedom bei. Als Entgeld stellten die Disciples Marc Nelson und ihren Co-Produzent Brendan Lynch für Wellers erste Solo-Platte ab. Auch Weller's Frau Dee C. Lee, die heuer Jazzmatazz den Soul beibringt, singt im Duett. Das Ergebnis war ein mit der Haltung eines Clubgängers aufgenommener Liedermacher. Vor allem die kurzen Instrumentals ließen ahnen, daß der nächste Streich noch mehr in Richtung angejazzten Tanzboden gehen könnte.

Gerade wo er wieder den Anschluß an die urbane Kultur gefunden hatte, verdrückt sich Paule - auch dies ein Seventies-Trauma - mit der Angetrauten aufs Land. Dabei ist Weller froh, dem „wild wood“ der Großstadt entkommen zu sein und freut sich wieder an den einfachen Dingen des Lebens: Fußball spielen, Roller fahren, Picknicken und mit der Klampfe am Bach sitzen und Lieder von Sonnenblumen an die Geliebte singen. Trotz derselben Besetzung behielt bei Wild Wood, der zweiten Soloveröffentlichung, der Liedermacher die Oberhand über den Clubgänger.

In „Has My Fire Really Gone Out?“ fragt er sich und alle Zweifler, ob er ausgebrannt sei. Die Antwort gibt der Ortswechsel: „One clear voice in the wilderness put an end to all your doubts.“ Die klare Stimme aus der Wildnis hofft, daß sich die Welt selbst heilen wird und auch unsere Kinder noch die Chance haben werden, grüne Bäume unter einem blauen Himmel zu sehen. Damit hat er die Träume der Landpomeranzen, die mittlerweile längst in der Stadt angekommen sind, erneut eingeholt.

Volker Marquardt