: Freunde für's Leben
■ Der Bär: Ein ultimativer Marktbericht aus den Spielhöllen der Kaufhäuser nebst einer Liebeserklärung / Charakter ist eine Frage des Geldbeutels / Statt Schnauzen chirurgische Totalschäden: Wer hat den Bären bloß zur Sau gemacht
Eine Liebeserklärung: Was wäre bloß geworden, wenn er nicht gewesen wäre? Durch dick und dünn sind wir gegangen, und wenn keiner sonst da war, er war immer an meiner Seite. Die Einsamkeit der Welt? Er war der Gegenbeweis, das heißt, er ist es noch. Mein Teddy. Mittlerweile ist er in den besten Jahren, abgeschabt an den Ohren, die Pfoten vernarbt und mit dickem Zwirn repariert, die Fußsohle durchgelaufen. Alt ist er geworden, und grau, schließlich ist er älter als ich selbst. Aber der Blick ist so klar wie vor knapp vierzig Jahren.
Auf der Suche nach dem Traum von der glücklichen Kindheit, ausgerechnet in den Spielwarenabteilungen der großen Kaufhäuser: Wer am Gipfel der Horten-Rolltreppe den Weg über elektrisch betriebene Pinguine und rachitisch krächzenden Elefanten zu den Bärenregalen gefunden hat, der muß auf alles gefaßt sein. Ganze Hundertschaften trauriger Glasaugenpaare blicken ihm entgegen. Bär, oder was dort so genannt wird, reiht sich an Bär. Charakterlose Massenware steht dicht an dicht, wie ein Perlenfischer muß der Liebhaber in das Dunkel des Grauens hinabtauchen, um die Schätze zu bergen. Und dabei müssen viele taube Muscheln geknackt werden
Wer hat den Bären zur Sau gemacht? Welcher fühllose Marketingstratege kann sich sowas nur ausdenken: Ein plüschiges Etwas mit einer Farbe wie ranzige Buttercreme, ein Körper wie ein Sack Wäscheklammern, unentschieden abstehende Gliedmaßen, aber das schlimmste ist das Gesicht, oder was dafür gehalten werden soll. Ein Gesicht, wie die Inkarnation des modernen Teddyunwesens. Was früher mal eine richtige Schnauze war, das ist heute ein chirurgischer Totalschaden, ein aufgenähtes Dreieck, sonst nichts, gar nichts. Die Augen sind bei dem Exemplar noch das beste, denn sie sind zugeplüscht. Wer auch immer es wagt, das Fell zur Seite zu schieben, den glotzen ausdruckslose Glasknöpfe an. Preis: 55 Mark. Die Firma heißt Althans und sollte sich was schämen, weil diese arme Kreatur beileibe kein Einzelfall ist.
„Fuellt Eure Herze mit Festtagstimmung. Feiert mit der Christmas Bear Family (Weihnachtsbaeren-Familie) das 150 Jubilaeum von Charles Dickens klassische Geschichte von der Suche nach der wahren Bedeutung von Schenken und Teilen. A Christmas Carol.“ Und so sieht das auch aus, woran das Schild hängt: Weißer gesichtsloser Plüsch in ein Schottenkostüm gezwängt und auf die Fußsohle ist dem armen Etwas auch noch schwarz und fett die Jahreszahl 1993 tätowiert. Den kann man noch nichtmal wegen ausgesuchter Ekelhaftigkeit unter's Bett verbannen, von wegen schlechter Träume.
Körper, was für elende Körper auf den Regalbrettern liegen. Besonders die Schmusetiere! Was denken sich die Eltern dieser Mißgeburten bloß? Weich sollen sie sein, freundlich, aber was wir finden, das erinnert mehr an Marshmellows: Schlabberig bis zur Substanzlosigkeit. Als könnte man die Kinder ein Leben lang nur mit Breichen füttern! Und Farben! Bären haben ultimativ meliert zu sein, einfarbige Bären sind Dokumente der Phantasielosigkeit.
Bären in der Spielwarenabteilung, das ist eine Zweiklassengesellschaft. Hie die Billigregale, dort die Luxusabteilung. Bei der Mittelklasse sieht's zappenduster aus. Lange suchen muß man, um wenigstens ein bißchen Charakter für den dünnen Geldbeutel zu bekommen. Aber manchmal warten Schätze auf ihre Entdeckung. Ganz oben über allen Billigheimern thront ein braunmelierter Riese, ein Großbär von fast Poohscher meditativer Gelassenheit, zweifellos ein Bär von geringem Verstand, aber grenzenloser Lustfähigkeit. 149 gut angelegte Mark.
Wer Charakter sucht, der muß sich dann doch mit einem Seufzer wegen der Finanzen der Luxusklasse zuwenden, und die heißt in Deutschland fast ausschließlich Steiff. Auf der einen Seite Massenware, der Bärenfreund hört bei der Betrachtung fast noch das seelenlose Rattern der Nähmaschinen, bei Steiff Gesichter. Jeder Bär eine Persönlichkeit, das heißt fast jeder: Denn auch die Traditionsfirma ist nicht frei von Geschmacksverirrungen. Es gibt Bären, denen eine Zipfelmütze aufgesetzt wurde, oder eine Gitarre in die Hand gedrückt. Wir wenden uns mit Grausen ab und hin zum Charakter: Gesichter, die den Namen verdienen. Traditionsmodelle von würdevollem Ingrimm, Bären mit einer Mischung von väterlicher Strenge und Güte. Schnauzen sind Schnauzen, das Fell ist auch mal struppig und sowieso meliert. Aber die Individualität hat ihren Preis, und der kann bis in schwindelerregende Dimensionen von 800 Mark gehen. Aber was ist das schon gegen das neue Auto. Und schließlich sollte ein Teddy ja was für's Leben sein. Damit wir in vierzig Jahren lesen können: Was wäre bloß geworden, wenn er nicht gewesen wäre! Jochen Grabler
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