Ma(r)l ohne Thoma

■ Sehr leise feierte das Grimme-Institut in Marl seinen 20. Geburtstag

Wer das Adolf Grimme-Institut (AGI) besucht, spricht als erstes über die Anreise. Wie die Couch zum Potato gehört das Ritual zu jeder Veranstaltung des Medieninstituts des Deutschen Volkshochschulverbandes, das alljährlich den begehrtesten deutschen Fernsehpreis vergibt. Und das selbst 20 Jahre, nachdem auf Initiative von Bert Donnepp das AGI „mit einem kleinen Büro, einer Sekretärin und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter“ (Broschüren-O-Ton) seine Arbeit begonnen hatte: Es ist immer noch ein Abenteuer, mit dem Zug in das nordrhein-westfälische Marl zu fahren.

Bei den „5. Marler Tagen der Medienkultur“, zu denen das Institut in dieser Woche anläßlich seines Jubiläums geladen hatte, drängte jedoch ein anderes Thema das löchrige Streckennetz der Bundesbahn aufs Abstellgleis: der Fall Lutz Hachmeister. Hatte doch der amtierende Institutschef mit einem Artikel in der Woche vom 2. September einen heftigen Streit ausgelöst. Unter dem Titel „ARD – wie lange noch?“ attestierte da der 34jährige, der sich in seiner Kritik an kommerziellen Sendern auffällig zurückzuhalten pflegt, der öffentlich-rechtlichen ARD eine Führungskrise. Daß ihn die ARD- Oberen auch noch „an Politiker aus der Endphase der Weimarer Republik“ und die ARD-Eins an „faschistische Ästhetik“ erinnerten, brachte die erste Reihe der ARD besonders in Rage. Das Ergebnis: eine Streichung von Zuschüssen für Grimme wurde angedroht. Wegen der „finanziell instabilen Lage“ der öffentlich geförderten Einrichtung verlieh sich Hachmeister daraufhin selbst einen Maulkorb: Zu medienpolitischen Fragen wolle er sich in seiner Amtszeit nicht mehr äußern. Der ARD-Vorsitzende Jobst Plog wiederum lehnte die Geburtstagseinladung nach Marl „dankend“ ab. Er hatte keine Lust auf das Thema „Was kann (sich) ein Medieninstitut leisten?“

Auf dem Podium standen dafür andere Rede und Antwort: Hachmeisters Amtsvorgänger Hans Janke, heute Leiter der ZDF- Hauptredaktion Fernsehspiel und Film, hielt die Angelegenheit für überbewertet: Sie betreffe mehr den Urheber als die Institution, das Ganze sei eine Frage von „Takt, Stil und Amtsverständnis“. Andere Leistungen des Instituts wie der renommierte Grimme-Preis oder die Zeitschrift agenda, seien allemal bedeutender als Hachmeisters publizistischer Ausflug.

Der zweite Tag des Colloquiums stand ganz im Zeichen der „Fort- und Weiterbildung“. Der still gewordene Hachmeister möchte im nächsten Jahr als Gründer einer „Deutschen Medienakademie für Film und Fernsehberufe“ in die Grimme-Geschichte eingehen. Große Unterstützung findet das Projekt bei den Standortpolitikern. Medien sieht Minister Wolfgang Clement, Chef der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, als „Motor der strukturellen Veränderung“. Öffentliche und private Unternehmen sollen jetzt gemeinsam die Mittel für die Institution aufbringen, in der Medienprofis sich umfassend weiterbilden können. Auch wenn die Meinungen darüber auseinandergingen, ob für die Absolventen Bedarf besteht: WDR, RTL und die Filmstiftung NRW, die bislang unabhängig voneinander mit selbstgemachten, teuren Fortbildungsmaßnahmen vor sich hinwurschteln, zeigten in Marl Interesse an einer zentralen Studieneinrichtung.

Zum Geburtstag schenkte Rita Süssmuth, Präsidentin des Volkshochschulverbandes, dann noch eine beherzte Rede, in der sie die pädagogische Rolle des Fernsehens beschwor. Johannes Rau bemühte Erich Kästner, und der dritte Deutsche Preis für Medienpublizistik ging an den Wissenschaftler und Publizisten Horst Röper, der Pionierarbeit in der Durchleuchtung der Medienkonzentration geleistet hat. Mit der Laudatio hatte das Grimme-Institut (kein Witz!) RTL-Chef Helmut Thoma beauftragt. Daß Thoma absagte, kam Lutz Hachmeister nach dem Rummel um seine Person nicht ganz ungelegen. SaJa