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Eine tote Ratte in der Backentasche Von Ralf Sotscheck

In England heißen sie „Agony Aunts“: die Briefkastentanten der Illustrierten, die ihren LeserInnen bei der Bewältigung der Alltagsprobleme mit idiotischen Ratschlägen zur Seite stehen. Zu den berüchtigsten Exemplaren dieser Gattung gehört Mary Killen, die Woche für Woche im Spectator eine Lösung für jedes Problem weiß. Der gesammelte Unfug erscheint heute bei „Harper-Collins“ in Buchform.

Was macht zum Beispiel eine Katholikin, wenn bei der Sonntagsmesse in der Reihe vor ihr eine kleine, weißhaarige Frau vom Schlag getroffen und dahingerafft wird? Die anonyme Katholikin versuchte wild gestikulierend, die Aufmerksamkeit der Chorknaben zu erregen, was jedoch mißlang. „Es war mir sehr peinlich, denn ich wollte nicht wie ein Dummkopf vor Lady Antonia Fraser dastehen, weil ich eine ihrer Schwestern kenne“, erklärte die Katholikin. Dann wetzte sie den Gang entlang, tippte einem „geistesgestörten Mann, den ich kenne“, auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr, daß da vorne gerade eine Frau sterbe. „Er – ein Konvertit! – handelte prompt und rief einen Krankenwagen.“ Die brennende Frage, die der Katholikin den Schlaf raubt: „Was wäre die korrekte Prozedur in diesem Fall gewesen? Hätte ich laut schreien und die Messe unterbrechen sollen? Meine Cousine sagt, daß der Pfarrer an verrückte alte Schachteln, die in Kirchen brüllen, gewöhnt ist und er mich ignoriert hätte.“ Marys Antwort: Die Katholikin soll sich erkundigen, wo das nächste Telefon steht. Die bereits erwähnte Lady Antonia Fraser – wer immer sie sein mag – scheint auch anderen Spectator-Leserinnen tiefen Respekt einzuflößen. E. S. aus London ist gerade einem exklusiven Sportverein beigetreten und hat seitdem panische Angst, Lady Fraser nackt im Umkleideraum zu begegnen. Auch hier weiß Mary Rat: Sollte der gefürchtete Fall eintreten, könnte die Leserin nach ihren Klamotten tasten und dabei murmeln: „Ha! Ich kann überhaupt nichts sehen.“

Was macht man nur, wenn man jemandem gegenübersteht, der aus dem Maul stinkt, als ob er eine tote Ratte in der Backentasche transportiere. Dieses Problem hat eine Kollegin von P. W. aus London. Wie aber bringt man ihr das taktvoll bei? Mary meint, ein wenig Schauspielerei sei angebracht, um die Gefühle des Stinkers nicht zu verletzen: „Begrüßen Sie ihre Kollegin wie immer, aber springen dann entsetzt zurück und ziehen eine Grimasse, die liebevollen Ekel ausdrückt. ,Gütiger Gott‘, rufen Sie dann. ,Was hast du gegessen? So ein widerlicher Gestank ist mir ja noch nie begegnet!‘“ Taktvoll? Selbst in Kenia schätzt man Marys Ratschläge. R. W. aus Nairobi fragt, wie man Citroen-Besitzer am besten verabschiedet. „Normalerweise winke ich meinen Gästen zu, wenn sie abfahren. Citroen-Besitzer müssen jedoch eine Ewigkeit warten, bis ein Aufblasmechanismus den Wagen langsam vom Boden hebt. Was soll ich in der Zeit bloß tun?“ Ganz einfach. Mary schlägt den Wink mit dem Zaunpfahl vor: „Installieren Sie eine Gepäckwaage vor der Tür. Mit Hilfe einer kleinen Veränderung an der hydraulischen Federung werden Sie ständig auf und ab wippen, während Sie auf die Abfahrt Ihrer Gäste warten.“ Oder Sie werfen ihnen Marys Buch durch das Seitenfenster.

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