: Betten statt Bomben
In einer ehemaligen Rüstungsschmiede in Brandenburg wird heute Munition entsorgt / Anschubfinanzierung für zivile Produktion ■ Aus Pinnow Annette Jensen
Auf dem Tisch liegt eine kleine Rakete. Die Kiste daneben sieht aus wie ein Kindersarg. Zwei Männer und eine Frau mit beigefarbenen Montageanzügen halten inne, denn sobald jemand kommt, darf niemand in dem kleinen Kabuff mit einer meterdicken Wand mehr weiterarbeiten. Ein unachtsamer Handgriff könnte tödlich sein – und war es vor kurzem auch für einen ihrer Kollegen; ein Block Festtreibstoff war auf den Boden gerutscht und hatte sich entzündet. Die drei bauen auseinander, was noch vor wenigen Jahren eben hier montiert wurde: Waffen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. „Die Einnahmen für die Munitionsentsorgung sind für uns die Anschubfinanzierung für den Aufbau der neuen Produktionszweige“, sagt Franz-Lorenz Lill, Pressesprecher der Firma Buck, die den Treuhandbetrieb in Pinnow 1991 übernahm.
Bis vor zehn Jahren war Buck fast ein reines Rüstungsunternehmen. „Tarnen und täuschen“ hieß das Motto der schwäbischen Firma, die ihr Geld vor allem mit der Erzeugung von Nebel verdiente. Mit Bucks Wärmepatronen, die von Panzern aus abgeschossen wurden, ließen sich die mit Infrarotaugen ausgestatteten Raketen des Feindes ablenken. „Für so einen Auftrag von 10 bis 20 Millionen Mark hätten die Großen der Branche nicht einen einzigen Strich aufs Papier gesetzt“, so Lill über die Entdeckung der damaligen Marktlücke. Doch schon Mitte der 80er Jahre war abzusehen, daß der für das mittelständische Unternehmen lukrative Auftrag des Verteidigungsministeriums nicht ewig währen würde. Nach zwei vergeblichen Versuchen, in den USA und Kanada neue Standbeine aufzubauen, gab es plötzlich nach dem Fall der Mauer ein neues, vielversprechendes Geschäft: die Zerstörung von NVA- Waffen.
„Als wir zuerst mit der Treuhand über Pinnow verhandelten, interessierten wir uns nur für die Munitionsentsorgung“, gibt Geschäftsführer Hartmut Krone zu. Einige hundert andere Unternehmer standen aus dem gleichen Grund bei der Privatisierungsbehörde Schlange. Denn im Einigungsvertrag war festgelegt worden, daß sämtliche Waffen der DDR-Armee ausschließlich in Ostdeutschland entsorgt werden sollen. Ein fetter Braten: Im Bundeshaushalt waren 1992 allein 145 Millionen Mark dafür veranschlagt.
Aber die Treuhand wollte das begehrte ehemalige Raketenwerk in der Nähe von Schwedt nur als Ganzes verkaufen. „Ein Jahr hat bei uns der Umdenkungsprozeß gedauert“, resümiert der Chef. Dann übernahm Buck den gesamten Betrieb.
Die Forscher aus der einstigen Elitefirma der DDR hatten inzwischen 17 Ideen entwickelt, was dort nach dem Ende der Waffenproduktion anderes hergestellt werden könnte. Denn daß das Zerlegen und Zersägen der Raketen keine langfristige Einnahmequelle sein konnte, war ja von Anfang an absehbar. „Es gab nur die Alternative, etwas Neues zu entwickeln oder den Laden dichtzumachen“, beschreibt Lill die Situation für den Betrieb, der bereits in den 30er Jahren von der deutschen Wehrmacht als Rüstungsbetrieb gegründet worden war.
In dem großen gekachelten Raum, wo noch vor wenigen Jahren die russischen Panzerabwehrraketen mit dem vielsagenden Namen „Konkurs“ in Säurebädern gehärtet wurden, stehen jetzt Hunderte von Buchenholzbetten. Mit diskret versteckter Hydraulik lassen sie sich hoch- und runterfahren. „Es wird immer mehr Pflegebedürftige geben. Und die wenigsten wollen in einem Bett liegen, das nach Krankenhaus aussieht“, erleutert Krone die Überlegungen seiner Firma.
Mit ehemaligen Waffenmaschinen zivile Produkte herzustellen, hält er für wirtschaftlichen Unsinn. „Die Schwermetallindustrie läßt sich doch in Deutschland ohnehin nur noch mit Subventionen aufrechterhalten.“ Der Markt, nicht das eigene Können, müßte der Maßstab sein, wenn man seine Produkte loswerden wolle. Die Zukunft gehöre Firmen, die intelligente Produkte und Problemlösungen anbieten, glaubt er. Deshalb verkauft Buck heute nicht nur Betten, sondern hilft den Kunden auch bei der Einrichtung ganzer Pflegestationen. Hundert Menschen verdienen inzwischen in Pinnow ihr Geld in der Medizintechnikabteilung.
Geblieben aber ist dem einstigen Rüstungskonzern die Kundenstruktur. Nach wie vor verhandeln die Geschäftsführer mit Leuten aus Behörden oder anderen Institutionen, die nicht selbst Eigner sind. „Beim Verkaufen von Konsumgütern hätten wir keine Chance, weil uns da die Erfahrung fehlt“, meint Krone. Dennoch gibt es heute schärfere Konkurrenz und härtere Preiskämpfe als zu den Zeiten, als der einzige Auftraggeber auf der Hardthöhe in Bonn saß.
In einer mehrere hundert Meter langen Werkshalle streicht Mirko Probst den ganzen Tag lang die Wände von Wohncontainern. Wenig später werden sie im werkseigenen Bahnhof nach Rußland verladen, und schon in ein paar Wochen sollen heimkehrende russische Offiziere darin einziehen. 13,90 Mark Stundenlohn bekommt der gelernte Schlosser aus Cottbus, der genau wie viele Kollegen zunächst nur einen Zeitvertrag für dreieinhalb Monate bekommen hat. Die orangefarbenen Scheinwerfer brennen Tag und Nacht: Gearbeitet wird in vier Schichten rund um die Uhr. „In einigen Bereichen wollen wir flexibel bleiben und stellen die Leute deshalb erst einmal nur befristet ein“, sagt Pressesprecher Lill.
Dennoch sind viele Arbeiter aus anderen Landesteilen extra hierhergezogen. Es hat sich rumgesprochen, daß bei Buck in den letzten Jahren 500 neue Leute eingestellt worden sind – entschieden mehr, als 1991 mit der Treuhand vereinbart worden war. Der Gesamtbetrieb macht heute 300 Millionen Mark Umsatz im Jahr. Für den Krieg wird nur noch im Westen produziert, zwei Drittel der Einnahmen kommen inzwischen aus Pinnow. Und der Standort soll noch weiter ausgebaut werden. „Ich glaube, daß es im Januar hier für mich weitergeht“, meint der 23jährige Probst optimistisch. Schlecht aber sieht es für die älteren Menschen in der Gegend aus. Bei Buck haben sie keine Chance mehr – und einen anderen Arbeitgeber gibt es in der Gegend nicht.
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