piwik no script img

Die spinnen, die Anhaltiner! Von Mathias Bröckers

Das große Kanzlerversprechen „Keinem soll es schlechter gehen“ hat sich zwar nicht für die ostdeutschen Bürger, sehr wohl aber für einige westdeutsche Politiker erfüllt. Als West-Import konnte man in Sachsen-Anhalt sein Ministergehalt selbst bestimmen – das Finanzministerium genehmigte Zulagenwünsche unbesehen.

Diese durch unklare Gesetzesregelung beförderte Schlamperei ist aber nicht der eigentliche Skandal. Der besteht vielmehr darin, daß sich keiner der Herren Minister offenbar genierte, diese Lücke bis zum letzten auszureizen. Regelrecht geschmacklos wird das Ganze, wenn man bedenkt, daß sich hier an den Fleischtöpfen des ärmsten Bundeslands eben jene bedienen, die ansonsten von „Solidarpakt“, von „Aufschwung Ost“ faseln, und davon, daß alle eben den Gürtel ein bißchen enger schnallen müssen. So menschlich das Bedürfnis nach „Besitzstandswahrung“ sein mag – wer dabei den letzten Rest von Anstand verliert, ist als Politiker untragbar. „Keinem soll es schlechter gehen – nur mir in jedem Fall besser“ – Kohls Statthalter in Sachsen-Anhalt haben das Kanzlerwort hier vielleicht doch etwas zu freizügig ausgelegt.

Es waren allesamt Figuren aus der zweiten und dritten Reihe, für die sich der Ministerjob in der Ost- Provinz nun endlich mal rentieren sollte. Das war schon im al ten Rom so, wenn der Kaiser alte Kämpen von den Hinterbänken des Senats mit einer Provinz belohnte. Vom Image her konnte das zwar nicht mit einem Job in der Hauptstadt konkurrieren, und den Ehefrauen war der Abschied vom römischen Chic und vom Shopping oft gar nicht recht – dafür aber ließ sich in den Provinzen eine fette Mark machen, und mancher Statthalter überragte in Protz und Prunk bald seine hauptstädtischen Kollegen. In der Denkungsart unterscheidet sich die zurückgetretene Regierungs-Combo in Magdeburg wenig von den römischen Provinz-Statthaltern – und wie sie jetzt schwer beleidigt und mit „Rufmord“-Vorwürfen abtreten, entspricht voll und ganz der Dramaturgie von Asterix.

Wie der dicke Kaiser daheim in seinem Kanzler-Bungalow tobt, haben wir zwar nicht live gesehen, können es uns aber leibhaftig vorstellen. Zuerst der Günstling fürs Präsidentenamt an „Ersprochenem erstickt“ (Spiegel) und jetzt ein komplette Landesregierung beim Absahnen selbst erwürgt – wenn das mal kein Superqualjahr wird. Der Niedergang des kohlischen Imperiums scheint perfekt.

Daß nach der Pest nun auch die Kohlära endlich überwunden ist, könnte für 1994 ja eigentlich Anlaß zur Erleichterung geben. Aber weit gefehlt. Den Niedergang des römischen Imperiums konnten auch die Nachfolger der entmachteten Potentaten nicht aufhalten – das ganze System war faul, und so ist es auch heute. Der Wurm steckt ebenso im Ganzen, der überholten, alten Welt- und Wirtschaftsordnung, wie auch im Detail, der dekadenten und korrupten Lokalpolitik. Es fehlen die Ideen, und es fehlen Ideale. Es sei dem Gesetzgeber vollkommen egal, „ob sich ein Abgeordneter Fachliteratur oder einen Brillantring für die Ehefrau kauft“, hat Provinz-Statthalter Münch vor seinem Abgang verkündet – dem ist, als Beschreibung des allgemeinen Mentalitätszustands, absolut nichts mehr hinzuzufügen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen