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Olympiade aus Holz und Pappe

Umweltschutz wird bei den Winterspielen 1994 zur olympischen Disziplin: So entsorgen sich selbst die Siegertreppchen von alleine  ■ Aus Lillehammer Reinhard Wolff

Das olympische Feuer brennt. Entzündet an einer Feuerstelle im Hof Övrebö im kleinen Dorf Morgedal mitten in der westnorwegischen Provinz Telemark. Sondre Norheim wohnte hier, der in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts den Skisport in Norwegen wieder zum Leben erweckte. Der „Vater“ für Norwegens Nationalsport Nummer eins. Schon 1952 war hier das Feuer für die Winterolympiade in Oslo entzündet worden und dann zwei Tage lang auf Skiern bis nach Oslo getragen worden. 41 Jahre später wurden daraus zweieinhalb Monate. Das Feuer zieht durchs ganze Land, bis es am 12. Februar in Lillehammer ankommen soll.

„Klein und übersichtlich, keine Gigantomanie, sondern Naturnähe“ lautet das Glaubensbekenntnis der Olympia-MacherInnen. Auch wenn zwangsläufig die Natur hier und da weichen mußte, ist es tatsächlich gelungen, diese Linie bis zum Schluß durchzuhalten. Und selbst die norwegische Naturschutzbewegung, anfangs mehr als skeptisch, zeigt sich zufrieden. Viele ihrer Forderungen wurden durchgesetzt, die Eislaufhalle gar an einer anderen als der ursprünglich geplanten Stelle hochgezogen, um ein Naturreservat zu erhalten. Mit 21 verschiedenen Umweltprojekten wird zusammengearbeitet. Haben die NorwegerInnen aus dem Öko-Fiasko von Olympia-Vorgängerin Albertville gelernt?

Offensichtlich. Eine „Olympiade aus Pappe, Stein und Holz“, wie die Osloer Tageszeitung Aftenposten titelte, wird es zwar nicht ausschließlich, aber zumindest auch werden. Im Felsgestein verschwunden ist die Eishockeyhalle von Gjövik. 120 Meter tief in den Felsen getrieben, bekommt sie eindeutig die besten Noten aller Olympia-Anlagen: Sie ist damit nämlich fast unsichtbar. Das herausgesprengte Gestein wurde umweltfreundlich dazu verwendet, ein Freizeitgebiet am Mjösa-See neu zu gestalten. Naturstein diente auch als hauptsächliches Baumaterial der anderen neu gebauten Olympia-Anlagen. Auch den Olympia-SiegerInnen wird Stein um den Hals gehängt werden: Gold-, Silber- und Bronzemedaillen werden von der Schmuck-Designerin Ingjerd Hanevold aus echtem norwegischen Sandstein gefertigt, in das die vom Olympischen Komitee vorgeschriebenen sechs Gramm Gold eingearbeitet werden.

Holz war ein weiteres wichtiges Baumaterial für die olympischen ArchitektInnen – und wenige gibt es, die daran etwas auszusetzen hätten. Eishalle und Olympia-Halle in Hamar, ebenso wie die Hakons-Halle in Lillehammer, haben Tragkonstruktionen aus Holz, zu denen die Architekten- und Baubranche mittlerweile weltweit angepilgert kommt. Bäume mußten fallen für einige Abfahrten, für die Bobbahn. Doch wehe dem Bauunternehmer, der einen Baum mehr als unbedingt notwendig umsägte: 50.000 Kronen (etwa 11.000 DM) drohten als Buße und mußten verschiedentlich auch gezahlt werden. Pro Baum! Und für jeden Baum, der trotz allem fallen mußte, haben Schulkinder in einer landesweiten Aktion „Olympia-Wald“ gleich zwanzig neue gepflanzt.

Pappe schließlich soll verwendet werden, wo es irgend möglich ist. 70 Prozent aller olympischen Wegweiser werden aus Pappe sein. Bis hin zu den Reklameschildern von Coca-Cola und McDonalds. Keine Pappe aber dort, wo sonst massenhaft üblich: bei Einwegtellern und -bechern. Die sollen vielmehr aus speziell behandeltem Kartoffelmehl sein, das schnell und restlos kompostierbar ist.

Im Pressezentrum wurde der Filmfirma Kodak aufgedrückt, ein Labor zu bauen, das auch nicht den kleinsten Rest an Giften in die Kanalisation laufen läßt. 3.000 Soldaten der norwegischen Armee werden zwei Wochen lang sinnvoll eingesetzt: Sie sollen Abfall sortieren und darauf achten, daß alles in der richtigen Glas-, Papier- und Komposttonne – die Tonnen natürlich auch aus Pappe – landet. Nicht mehr wundern darf bei soviel Umweltschutz, daß bei den Schießwettbewerben für das Recycling der Bleimunition gesorgt ist, die vier neuen Eishallen sparsam im Energieverbrauch sein sollen und auch die 6.000 LäuferInnen, die gerade zu ihrem 75 Tage langen und 12.000 Kilometer weiten Weg durchs Land gestartet sind, in ihren Fackeln besonders umweltfreundliches und speziell entwickeltes Petroleum enthalten.

Selbst entsorgen werden sich die Siegertreppchen: Sie werden aus Gletschereis gehauen. 20 Tonnen warten bereits in einem Tiefkühllager in Lillehammer neben gefrorenem Weihnachtsbraten. Nach olympischem Gebrauch dürfen sie dann in der warmen Frühlingssonne dahinschmelzen.

Umweltschutz als neue Olympiadisziplin? Es gibt auch Haken. Ein nur ansatzweise gelöstes Problem ist der Verkehr. Auch wenn die OrganisatorInnen behaupten, 80 Prozent aller Transporte würden mit Zug und Bussen – dazu noch mit besonders umweltfreundlich bedieselten – laufen: Die Generalprobe der Vorolympiade im letzten Winter zeigte, daß der Individualverkehr, der die Straßen zu verstopfen droht, sich an alles andere als die Planung der grünen StrategInnen halten wird.

So geplant grün, wie sich jetzt alles darstellt, war die Lillehammer-Olympiade von Anfang an gar nicht gedacht. Norwegens Grüne, nicht in einer Partei, aber in vielen tatkräftigen und mitgliederstarken Vereinigungen organisiert, dürfen sich die „grüne“ Olympiade als ihr Verdienst anrechnen. Als die ersten Planungen Albertville-Alpträume wach werden ließen, brach ein Proteststurm los, der Wirkung zeigte. Olyv Myrholt, Leiter des Projekts „Umweltfreundliche Olympiade“, in dem die meisten Umweltorganisationen vereinigt sind, kann daher auch genau aufzeigen, wo die „grüne Grenze“ verläuft: „Zwei Jahre wurde ohne uns drauflos geplant und gebaut. Da stehen jetzt das Skistadion und die Vikingschiff-Halle mitten in der Landschaft. Alles, was danach gebaut wurde, ist der Landschaft optimal angepaßt, wie die Sprungschanze und die Bobbahn.“

Der Durchbruch für die grünen Lösungen sei erst gekommen, als die Olympia-OrganisatorInnen gemerkt hatten, daß damit nicht alles teurer und komplizierter wurde. Osmund Ueland, einer der Direktoren des Organisationskomitees: „Wir merkten plötzlich, daß die umweltfreundlichen Lösungen nicht nur konkurrenzfähig, sondern oft auch bessere und billigere Lösungen waren. Außerdem bekamen wir eine positive Presse, und die Konflikte mit der lokalen Bevölkerung hörten fast schlagartig auf. Jetzt ist die ,grüne‘ Olympiade ein großes Medienthema geworden, und Journalisten aus aller Welt wollen wissen, wie wir das machen.“ Die „grüne“ Olympiade wird Folgen haben. Norwegische Architektur, Landschaftsplanung und Bautechnik sind plötzlich zu einem gefragten Exportprodukt geworden. Man hofft, das Internationale Olympische Komitee dazu bewegen zu können, die Umwelt zu einer dritten Olympia-Dimension neben Sport und Kultur zu machen: Olympia-Zuschlag nur bei einem ausgefeilten Umweltschutzkonzept. Und wenn das gerade entfachte olympische Feuer am 27. Februar wieder erloschen sein wird, dann soll eine Umwelt- Stafette mit Hundeschlitten die grüne Botschaft quer durch Sibirien ins japanische Nagano bringen – in der Hoffnung, daß es dort Nachahmung finden wird.

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