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Im Leben oft nicht wirklich dazugehört

■ Eine Biographie über Ernst Toller anläßlich seines 100. Geburtstags

Mitte 1933 reist Ernst Toller zum Internationalen PEN-Kongreß nach Dubrovnik, in Deutschland gerade knapp einer Verhaftung entkommen. Eingeladen ist er als Mitglied der englischen Delegation, worauf die deutsche, holländische, österreichische und Schweizer Delegation den Tagungssaal verlassen. Er wird über Nacht zur Symbolfigur der deutschen Opposition gegen die Nazis, ohne daß ihm selbst wohl klar sein dürfte, daß mit seinem Auftritt hier auch sein Exil begonnen hat. Er läßt sich zuerst in England nieder, wo er überaus aktiv ist.

Der englische Romanist und Germanist Richard Dove hat in seiner jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegenden Biographie ausgerechnet, daß Toller in seinem sechsjährigen Exil „über zweihundert Ansprachen, Vorträge und Rundfunkreden“ gehalten hat. In England, schreibt Dove in seiner Studie voller neuer Hintergrundinformationen, habe Toller sich auch als „kluger und energischer Lobbyist“ gezeigt. So stellte er etwa die Weichen für die Nominierung Carl von Ossietzkys zum Friedensnobelpreis, indem er unter anderem die Unterstützung von Aldous Huxley, Bertrand Russell und Virginia Woolf gewann.

Toller hatte während seiner fünfjährigen Festungshaft Anfang der zwanziger Jahre eine Entwicklung vom Sozialisten mit anarchistischen Tendenzen zum Radikalsozialisten und Pazifisten durchgemacht. Toller entschied sich für das Prinzip der Gewaltlosigkeit, obwohl er davon überzeugt war, daß völliger Gewaltverzicht politisches Handeln unmöglich mache.

Seine politischen Gegner waren weniger zimperlich. In der Endphase der Weimarer Republik waren Morddrohungen für Toller an der Tagesordnung, Aufführungen seiner Stücke wurden von Nazi- Trupps gestört, Goebbels bezeichnete ihn in seiner „Juden-Boykott“-Rede als Staatsfeind Nummer eins. Allerdings, Toller argumentierte zeit seines Lebens auch gegen einen dogmatischen Marxismus, so daß Anfeindungen von links nicht ausbleiben konnten. Nach der Münchner Räterepublik, an der er führend beteiligt war, hatte er sich sowohl von der SPD als auch der KPD losgesagt. Später setzte er sich trotzdem vehement für den inhaftierten Johannes R. Becher ein; der zeigte sich aber wenig dankbar und wurde nach seiner Entlassung zu einem der schärfsten Kritiker Tollers.

Toller war zu dieser Zeit bereits ein bekannter Dramatiker, der mit Piscator an der Berliner Volksbühne die gemeinsamen Vorstellungen eines politischen Theaters verwirklichen wollte. Ihre enge Zusammenarbeit scheiterte daran, daß Piscator für Tollers Begriffe zu eigenmächtig in den Text seines Stücks „Hoppla, wir leben!“ eingriff. Neben solchen Details zur Literaturgeschichte findet man bei Dove etwas, das in vergleichbaren Biographien häufig fehlt: ideengeschichtliche Hintergründe von Tollers Werdegang – seinen Kontakt mit Max Weber während seiner kurzen Heidelberger Zeit, vor allem aber den starken Einfluß des Anarchisten Gustav Landauer.

Heute ist Toller vor allem durch seine Theaterstücke im Bewußtsein, die bedeutendsten wie „Masse Mensch“ und „Hinkemann“ enstanden während der Festungshaft (zur gleichen Zeit saß übrigens Hitler in Landsberg ein und schrieb „Mein Kampf“) und sind Schritte auf dem Weg vom Expressionismus zur neuen Sachlichkeit. Nicht weil diese Entwicklung für ihn abgeschlossen war, sondern der sich zuspitzenden politischen Lage wegen arbeitete er bis zu Hitlers Machtergreifung stärker publizistisch – hauptsächlich für das Organ der kritischen Linken, die Weltbühne.

Außerdem entstanden Reisebilder, in denen er scharfsichtig über die Unfreiheit im vermeintlich freiesten Land der Welt, Amerika, schrieb. Als er jedoch Rußland bereiste, setzte er sich merkwürdig nachsichtig mit der dortigen Zensur auseinander. Er war nicht der einzige, dessen Blick auf das nachrevolutionäre Rußland durch die Hoffnung getrübt wurde, dort liege die Zukunft des Sozialismus. In Deutschland etwa gab es eine „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland“, die unter anderem von Döblin, Einstein und Thomas Mann unterstützt wurde. „Und gleich etwas wie Beklemmung: Was wirst du finden?“ notierte er nach der Ankunft in Moskau. Richard Dove beschreibt, daß Toller wie ein hoher Staatsgast empfangen wurde; eine seltsame Erfahrung für jemanden, der hier wie so oft in seinem Leben nicht wirklich dazugehörte.

Im Exil war er zwar nicht zum ersten Mal ein Fremder; die Kindheitserfahrung des jüdischen Jungen in einer deutschen Enklave in Polen ist schon in seiner Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“ enthalten. In London schloß er sich oft tagelang im Zimmer ein und mußte sich wegen Depressionen in psychologische Behandlung begeben. Im Mai 1939 erhängte Ernst Toller sich in einem New Yorker Hotelzimmer. Einen Tag zuvor hatte er Ludwig Marcuse noch heftig widersprochen, als der behauptete, jeder Mensch habe das Recht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Jürgen Berger

Richard Dove: „Ernst Toller. Ein Leben in Deutschland“. Aus dem Englischen von Marcel Hartges. Steidl-Verlag, 352 Seiten, 48 DM

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